SC Zes Zollner Electronic SRL v Direcţia Regională Vamală Cluj – Biroul Vamal de Frontieră Aeroport Cluj Napoca.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:457
Date08 June 2023
Docket NumberC-640/21
Celex Number62021CJ0640
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

8. Juni 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Verordnung (EU) Nr. 952/2013 – Zollkodex der Union – Nach Überlassung der Waren entdeckte Mehrmenge an Waren – Art. 173 – Änderung der Zollanmeldung – Andere als die in der zu ändernden Anmeldung ursprünglich angemeldeten Waren – Art. 174 – Ungültigerklärung einer Zollanmeldung – Art. 42 – Von den zuständigen Zollbehörden verhängte Sanktionen – Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446“

In der Rechtssache C‑640/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj, Rumänien) mit Entscheidung vom 25. August 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Oktober 2021, in dem Verfahren

SC Zes Zollner Electronic SRL

gegen

Direcţia Regională Vamală Cluj – Biroul Vamal de Frontieră Aeroport ClujNapoca

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter D. Gratsias (Berichterstatter), M. Ilešič, I. Jarukaitis und Z. Csehi,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und A. Rotăreanu als Bevollmächtigte,

– der estnischen Regierung, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia, F. Clotuche-Duvieusart und F. Moro als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Januar 2023

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 173 und 174 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, im Folgenden: Zollkodex der Union).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SC Zes Zollner Electronic SRL (im Folgenden: ZZE), einem rumänischen Unternehmen, und der Direcția Regională Vamală Cluj – Biroul Vamal de Frontieră Aeroport Cluj-Napoca (Regionaldirektion für Zölle Cluj – Grenzzollamt des Flughafens Cluj-Napoca, Rumänien) über deren Entscheidung, gegen ZZE ein Bußgeld zu verhängen, weil diese 5 000 elektronische integrierte Schaltungen der Zollkontrolle entzogen habe, sowie die Zahlung eines Betrags in Höhe des Zollwerts dieser Waren zuzüglich der Einfuhrabgaben und anderer geschuldeter Abgaben zu verlangen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung (EWG) Nr. 2913/92

3 Art. 66 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) sah vor:

„(1) Die Zollbehörden erklären auf Antrag des Anmelders eine bereits angenommene Anmeldung für ungültig, wenn der Anmelder nachweist, dass die Waren irrtümlich zu dem in dieser Anmeldung bezeichneten Zollverfahren angemeldet worden sind oder dass infolge besonderer Umstände die Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren nicht mehr gerechtfertigt ist.

Haben jedoch die Zollbehörden den Anmelder davon unterrichtet, dass sie eine Beschau der Waren vornehmen wollen, so kann der Antrag auf Ungültigerklärung der Anmeldung erst angenommen werden, nachdem diese Beschau stattgefunden hat.

(2) Nach Überlassung der Waren kann die Anmeldung außer in den nach dem Ausschussverfahren festgelegten Fällen nicht mehr für ungültig erklärt werden.

(3) Die Ungültigerklärung der Anmeldung bleibt ohne Folgen für das geltende Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht.“

Zollkodex der Union

4 Im 15. Erwägungsgrund des Zollkodex der Union heißt es:

„Voraussetzung für die Erleichterung des legalen Handels und die Betrugsbekämpfung sind einfache, schnelle, standardisierte Zollverfahren und Arbeitsabläufe. Es ist daher angezeigt, entsprechend der Mitteilung der Kommission vom 24. Juli 2003 mit dem Titel ‚Eine vereinfachte, papierlose Umgebung für Zoll und Handel‘ [(KOM[2003] 452 endg.)] die zollrechtlichen Vorschriften zu vereinfachen, um die Nutzung moderner Hilfsmittel und Technologien zu ermöglichen, die einheitliche Anwendung der zollrechtlichen Vorschriften und modernisierter Konzepte der Zollkontrollen weiter zu fördern und damit dazu beizutragen, die Grundlage für einfache und effiziente Abwicklungsverfahren zu gewährleisten. …“

5 Art. 5 („Begriffsbestimmungen“) dieses Kodex sieht in den Nrn. 16, 26 und 33 vor:

„Für den Zollkodex [der Union] gelten folgende Begriffsbestimmungen:

16. ‚Zollverfahren‘ sind die folgenden Verfahren, in die Waren nach dem Zollkodex übergeführt werden können:

a) Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr,

b) besondere Verfahren,

c) Ausfuhr.

26. ‚Überlassung von Waren‘ ist die Handlung, durch die die Zollbehörden Waren für das Zollverfahren zur Verfügung stellen, in das die betreffenden Waren übergeführt werden.

33. ‚Gestellung‘ ist die Mitteilung an die Zollbehörden, dass Waren bei der Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort eingetroffen sind und für Zollkontrollen zur Verfügung stehen.“

6 Art. 15 („Übermittlung von Informationen an die Zollbehörden“) des Zollkodex der Union bestimmt in Abs. 2:

„Der Beteiligte ist mit Abgabe einer Zollanmeldung … für alle folgenden Umstände verantwortlich

a) für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen in der Anmeldung …,

b) für die Echtheit, die Richtigkeit und die Gültigkeit jeder der Anmeldung … beigefügten Unterlage,

c) gegebenenfalls für die Erfüllung aller Pflichten im Zusammenhang mit der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren oder aus der Durchführung der bewilligten Vorgänge.

Unterabsatz 1 gilt auch für die Bereitstellung von Informationen in anderer von den Zollbehörden verlangter oder ihnen übermittelter Form.

…“

7 Art. 42 („Anwendung von Sanktionen“) des Zollkodex der Union sieht vor:

„(1) Jeder Mitgliedstaat sieht Sanktionen für Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften vor. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

(2) Werden verwaltungsrechtliche Sanktionen verhängt, so können sie unter anderem in einer oder beiden folgenden Formen erfolgen:

a) als eine von den Zollbehörden auferlegte finanzielle Belastung, gegebenenfalls auch an Stelle oder zur Abwendung einer strafrechtlichen Sanktion,

b) als Widerruf, Aussetzung oder Änderung einer dem Beteiligten erteilten Bewilligung.

…“

8 Art. 139 („Gestellung der Waren“) des Zollkodex der Union bestimmt in Abs. 1 und 7:

„(1) Die in das Zollgebiet der Union verbrachten Waren sind bei ihrer Ankunft bei der bezeichneten Zollstelle … unverzüglich … zu gestellen

(7) Die gestellten Waren dürfen nicht ohne Zustimmung der Zollbehörden vom Ort der Gestellung entfernt werden.“

9 Art. 158 („Zollanmeldung von Waren und zollamtliche Überwachung von Unionswaren“) des Zollkodex der Union sieht in Abs. 1 vor:

„Für alle Waren, die in ein Zollverfahren – mit Ausnahme des Freizonenverfahrens – übergeführt werden sollen, ist eine Zollanmeldung zu dem jeweiligen Verfahren erforderlich.“

10 Art. 172 („Annahme der Zollanmeldung“) des Zollkodex der Union lautet:

„(1) Zollanmeldungen, die die Anforderungen dieses Kapitels erfüllen, werden von den Zollbehörden unverzüglich angenommen, sofern die betreffenden Waren den Zollbehörden gestellt wurden.

(2) Sofern nichts anderes bestimmt ist, ist der Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung durch die Zollbehörden maßgebend für die Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet werden, sowie für alle anderen Ein- oder Ausfuhrformalitäten.“

11 Art. 173 („Änderung der Zollanmeldung“) des Zollkodex der Union bestimmt:

„(1) Dem Anmelder wird auf Antrag auch nach Annahme der Zollanmeldung durch die Zollbehörden gestattet, eine oder mehrere in der Zollanmeldung enthaltene Angaben zu ändern. Die Änderung darf nicht zur Folge haben, dass sich die Zollanmeldung auf andere als die ursprünglich angemeldeten Waren bezieht.

(2) Eine Änderung von Angaben in der Zollanmeldung ist jedoch nicht mehr gestattet, wenn sie beantragt wird, nachdem die Zollbehörden

a) den Anmelder davon unterrichtet haben, dass sie beabsichtigen, eine Beschau der Waren vorzunehmen,

b) festgestellt haben, dass die Angaben in der Zollanmeldung unrichtig sind,

c) die Waren überlassen haben.

(3) Die Änderung der Zollanmeldung kann auf Antrag des Anmelders innerhalb von drei Jahren nach der Annahme der Zollanmeldung auch nach Überlassung der Waren gestattet werden, damit der Anmelder seine Pflichten aus der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren erfüllen kann.“

12 Art. 174 („Ungültigerklärung der Zollanmeldung“) des Zollkodex der Union lautet:

„(1) Die Zollbehörden erklären eine bereits angenommene Zollanmeldung auf Antrag des Anmelders für in jedem der folgenden Fälle für ungültig,

a) wenn sie davon überzeugt sind, dass die Waren unverzüglich in ein anderes Zollverfahren übergeführt werden müssen,

b) wenn sie davon überzeugt sind, dass die Überführung der Waren in das Zollverfahren, zu dem sie angemeldet wurden, infolge besonderer Umstände nicht mehr gerechtfertigt ist.

Haben die Zollbehörden den Anmelder jedoch davon unterrichtet, dass sie beabsichtigen, eine Beschau der Waren vorzunehmen, so kann der Antrag auf Ungültigerklärung der Zollanmeldung erst angenommen werden, nachdem die Prüfung stattgefunden hat.

(2) Sofern nichts anderes bestimmt ist, darf eine Zollanmeldung nach Überlassung der Waren nicht mehr für ungültig erklärt werden.“

13 Art. 175 („Befugnisübertragung“) des Zollkodex der Union bestimmt:

„Die Kommission wird ermächtigt, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 284 zu erlassen, um – wie in Artikel 174 Absatz 2 vorgesehen – festzulegen, in welchen Fällen eine Zollanmeldung, auch nach Überlassung der Waren für ungültig erklärt werden kann.“

Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446

14 Art. 148 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der...

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