Stappert Deutschland GmbH v Hauptzollamt Hannover.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:693
Date21 September 2023
Docket NumberC-210/22
Celex Number62022CJ0210
CourtCourt of Justice (European Union)

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

21. September 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Verordnung (EU) Nr. 952/2013 – Zollkodex der Union – Art. 60 Abs. 2 – Ursprungserwerb von Waren – Delegierte Verordnung 2015/2446 – Art. 32 – Waren, an deren Herstellung mehr als ein Land oder Gebiet beteiligt ist – Anhang 22-01 – Primärregel für Waren der Unterposition 7304 41 des Harmonisierten Systems – Begriff ‚Hohlprofil‘ – ‚Rohrluppen‘ aus Stahl der Unterposition 7304 49 des Harmonisierten Systems, die durch Warmumformung hergestellt werden und aus denen durch Kaltumformung Stahlrohre der Unterposition 7304 41 des Harmonisierten Systems hergestellt werden können – Gültigkeit der Primärregel“

In der Rechtssache C‑210/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 18. März 2022, in dem Verfahren

Stappert Deutschland GmbH

gegen

Hauptzollamt Hannover

erlässt


DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Zehnten Kammer D. Gratsias in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Neunten Kammer sowie der Richter S. Rodin (Berichterstatter) und der Richterin O. Spineanu–Matei,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: K. Hötzel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. März 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Stappert Deutschland GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt K. H. Felderhoff, Rechtsanwältin K. Harden und Steuerberater H.‑M. Wolffgang,

– des Hauptzollamts Hannover, vertreten durch T. Röper,

– der belgischen Regierung, vertreten durch S. Baeyens und P. Cottin als Bevollmächtigte im Beistand von B. Coene und Z.‑Z. De Decker als Sachverständige,

– der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann, F. Moro und M. Salyková als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Primärregel für Waren der Unterposition 7304 41 des Harmonisierten Systems zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) in Anhang 22-01 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (ABl. 2015, L 343, S. 1) in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1063 der Kommission vom 16. Mai 2018 (ABl. 2018, L 192, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Primärregel), soweit sie ein spezifisches Kriterium für „Hohlprofile der Unterposition 7304 49“ (im Folgenden: Hohlprofile-Kriterium) enthält, und die Gültigkeit dieser Regel.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Stappert Deutschland GmbH (im Folgenden: Stappert) und dem Hauptzollamt Hannover (Deutschland, im Folgenden: Zollamt) über den Ursprungserwerb von Hohlerzeugnissen der Unterposition 7304 41 HS, gerade und von gleichmäßiger Wanddicke.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3 Das HS wurde mit dem am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossenen Internationalen Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (United Nations Treaty Series, Bd. 1503, S. 4, Nr. 25910 [1988]) im Rahmen der Weltzollorganisation (WZO) eingeführt und mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986 durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 (ABl. 1987, L 198, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt. Die Erläuterungen zum HS werden in der WZO nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens ausgearbeitet.

4 Kapitel 72 HS trägt die Überschrift „Eisen und Stahl“.

5 In den Erläuterungen zum HS zu dessen Kapitel 72, die sinngemäß für Waren des Kapitels 73 HS gelten, heißt es im Abschnitt „Allgemeines“:

„…

IV. Herstellung von Fertigerzeugnissen

Das Halbzeug und mitunter auch Rohblöcke (Ingots) werden zu Fertigerzeugnissen weiterverarbeitet.

Bei den Fertigerzeugnissen wird im Allgemeinen zwischen Flacherzeugnissen (Breitflachstahl, Breitband, Bleche, Bandstahl) und Langerzeugnissen (Walzdraht, Stabstahl, Profile, Draht) unterschieden.

Die Herstellung der Fertigerzeugnisse erfolgt entweder durch Warmumformung der Rohblöcke oder des Halbzeugs (Warmwalzen, Schmieden, Warmziehen) oder durch Kaltumformung von warmhergestellten Fertigerzeugnissen (Kaltwalzen, Kaltfließpressen, Drahtziehen, Stabziehen), die anschließend gegebenenfalls kaltfertiggestellt werden (z. B. durch Schleifen, Drehen oder Kalibrieren kaltfertiggestellter Stabstahl).

B) Kaltumformung

Zur Unterscheidung zwischen kalthergestellten Erzeugnissen und warmgewalzten, warmgezogenen oder warmstranggepressten Erzeugnissen können folgende Merkmale herangezogen werden:

– die Oberfläche der kalthergestellten Erzeugnisse hat ein besseres Aussehen als die der warmhergestellten und ist immer ohne Zunderschicht;

– die Abmessungstoleranzen sind bei kalthergestellten Erzeugnissen geringer;

– kaltgewalzt werden vor allem dünne Flacherzeugnisse;

– die mikroskopische Untersuchung zeigt bei kalthergestellten Erzeugnissen eine deutliche Verformung der Körnung und ihre Anordnung in Bearbeitungsrichtung. Warmhergestellte Erzeugnisse dagegen haben aufgrund der Rekristallisation eine fast regelmäßige Körnung.“

6 Im Abschnitt „Allgemeines“ der Erläuterungen zum HS heißt es zu dessen Kapitel 73:

„…

Im Sinne dieses Kapitels gelten als:

1) Rohre

Konzentrische Hohlerzeugnisse, mit über die gesamte Länge gleichbleibendem, nur einen einzigen geschlossenen Hohlraum aufweisenden Querschnitt derselben inneren und äußeren Form. Rohre aus Stahl haben grundsätzlich einen kreisförmigen, ovalen, quadratischen oder rechteckigen Querschnitt, können aber auch die Form eines gleichseitigen Dreiecks oder eines regelmäßig konvexen Vielecks aufweisen. Als Rohre gelten ebenfalls Erzeugnisse mit anderem als kreisförmigen Querschnitt mit über die ganze Länge abgerundeten Kanten sowie Rohre mit gestauchten Enden. Sie können poliert, überzogen, gebogen (einschließlich Rohrschlangen), mit Gewinde versehen (auch mit Muffen), gelocht, eingezogen, aufgeweitet, konisch oder mit Flanschen, Schellen oder Ringen versehen sein.

2) Hohlprofile

Hohlerzeugnisse, die der vorstehenden Begriffsbestimmung nicht entsprechen, hauptsächlich solche, deren äußere und innere Querschnitte nicht dieselbe Form aufweisen.

Die Erläuterungen zu Kapitel 72 Abschnitt ‚Allgemeines‘ gelten sinngemäß auch für dieses Kapitel.“

7 In den Erläuterungen zu Position 7304 HS heißt es:

„Rohre und Hohlprofile dieser Position können durch folgende Verfahren hergestellt werden:

B) Warmstrangpressen eines Rundstahls in einer Presse, unter Verwendung von Glas (Ungine-Séjournet-Verfahren) oder eines anderen Schmiermittels. Dieses Verfahren umfasst die folgenden Arbeitsgänge: Lochen, gegebenenfalls Aufweiten und Ziehen.

Den beschriebenen Vorgängen folgen verschiedene Fertigbearbeitungen:

– beim Warmfertigbearbeiten wird der Rohling nach dem Wiedererwärmen einem Maßwalzwerk zugeführt, gegebenenfalls gestreckt und anschließend gerichtet;

– beim Kaltfertigbearbeiten auf einem Dorn, durch Ziehen auf der Ziehbank oder durch Walzen auf dem Pilgerschritt-Walzwerk (Mannesmann- oder Megaval-Verfahren). Diese Verfahren ermöglichen, aus warmgewalzten oder warmstranggepressten Rohrluppen Rohre mit geringerem Durchmesser und geringerer Wanddicke zu erhalten als dies bei den Warmverformungsverfahren möglich ist (beim Transval-Verfahren können Rohre mit geringerer Wanddicke direkt hergestellt werden) oder Rohre mit engeren Toleranzen hinsichtlich Durchmesser oder Wanddicke herzustellen. Die Kaltbearbeitungsverfahren umfassen auch Ziehschleifen und Rollenglätten, um polierte Oberflächen zu erhalten (Rohre mit geringer Rauigkeit), die z. B. für pneumatische Hebeböcke und Hydraulikzylinder benötigt werden.

Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Rohren einerseits und Hohlprofilen andererseits wird auf die Erläuterungen zu diesem Kapitel Abschnitt ‚Allgemeines‘ verwiesen.

…“

Unionsrecht

Zollkodex

8 Art. 33 („Entscheidungen über verbindliche Auskünfte“) Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, und Berichtigung ABl. 2016, L 267, S. 2, im Folgenden: Zollkodex) sieht vor:

„Die Zollbehörden treffen auf Antrag Entscheidungen über verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA-Entscheidungen) und Entscheidungen über verbindliche Ursprungsauskünfte (vUA-Entscheidungen).

…“

9 Art. 60 („Ursprungserwerb“) Abs. 2 des Zollkodex sieht vor:

„Waren, an deren Herstellung mehr als ein Land oder Gebiet beteiligt ist, gelten als Ursprungswaren des Landes oder Gebiets, in dem sie der letzten wesentlichen, wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung unterzogen wurden, die in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen wurde und zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt.“

10 Art. 62 („Befugnisübertragung“) des Zollkodex bestimmt:

„Die Kommission wird ermächtigt, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 284 zu erlassen, in denen die Regeln festgelegt werden, nach denen Waren, deren Bestimmung des nichtpräferenziellen Ursprungs für die Anwendung der in Artikel 59 genannten Unionsmaßnahmen erforderlich ist, gemäß Artikel 60 als in einem einzigen Land oder Gebiet vollständig gewonnen oder hergestellt oder als in einem Land oder Gebiet der letzten wesentlichen, wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung, die in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen wurde und zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt...

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