TUIfly GmbH contre Commission européenne.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:528
Date29 June 2023
Docket NumberC-763/21
Celex Number62021CJ0763
CourtCourt of Justice (European Union)

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

29. Juni 2023(*)

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Maßnahmen, die die Republik Österreich zugunsten des Flughafens Klagenfurt, von Ryanair und von anderen Fluggesellschaften, die diesen Flughafen nutzen, durchgeführt hat – Beschluss, mit dem die Beihilfemaßnahmen für teilweise mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt werden – Art. 107 Abs. 1 AEUV– Marktwirtschaftlich handelnder privater Kapitalgeber – Ex‑ante‑Analyse der inkrementellen Rentabilität – Langfristige Rentabilität des Flughafens – Anwendbarkeit – Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV – Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete – Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt – Rentabilität neuer Flugverbindungen“

In der Rechtssache C‑763/21 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 10. Dezember 2021,

TUIfly GmbH mit Sitz in Langenhagen (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwälte L. Giesberts und D. Westarp,

Rechtsmittelführerin,


andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch K. Blanck, A. Bouchagiar und J. Ringborg als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Gratsias sowie der Richter M. Ilešič und I. Jarukaitis (Berichterstatter),

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2023,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die TUIfly GmbH, das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 29. September 2021, TUIfly/Kommission (T‑447/18, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2021:625), aufzuheben, mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Art. 7 und 8 des Beschlusses (EU) 2018/628 der Kommission vom 11. November 2016 über die von Österreich durchgeführte staatliche Beihilfe SA.24221 (2011/C) (ex 2011/NN) für den Flughafen Klagenfurt, Ryanair und andere Fluggesellschaften, die den Flughafen nutzen (ABl. 2018, L 107, S. 1) (im Folgenden: streitiger Beschluss), sowie der Art. 9 bis 11 dieses Beschlusses, soweit sie sich auf seine Art. 7 und 8 beziehen, abgewiesen hat.

Unionsrecht

2 Die Mitteilung „Gemeinschaftliche Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen und die Gewährung staatlicher Anlaufbeihilfen für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen“ der Kommission vom 9. Dezember 2005 (ABl. 2005, C 312, S. 1, im Folgenden: Luftverkehrsleitlinien von 2005) enthält in ihrem Abschnitt 5 („Anlaufbeihilfen“) einen Abschnitt 5.2 mit dem Titel „Vereinbarkeitskriterien“. In diesem Abschnitt der Leitlinien heißt es in Punkt 79 Buchst. f:

„In Anbetracht der vorgenannten Ziele und der erheblichen Schwierigkeiten, die bei der Einrichtung neuer Flugverbindungen auftreten können, kann die [Europäische] Kommission [Anlaufbeihilfen für neue Flugverbindungen oder neue Frequenzen] genehmigen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

f) Dauer und Intensität: Die degressiv gestaffelte Beihilfe kann für maximal drei Jahre gewährt werden. Die Beihilfe darf pro Jahr 50 % der beihilfefähigen Kosten des betreffenden Jahres und über den gesamten Beihilfezeitraum durchschnittlich 30 % der beihilfefähigen Kosten nicht übersteigen.

In jedem Fall muss die Laufzeit einer Startbeihilfe wesentlich kürzer sein als der Zeitraum, für den das Luftfahrtunternehmen sich … verpflichtet, seine Flugdienste von dem betreffenden Flughafen aus durchzuführen. …“

3 Die Mitteilung „Leitlinien für staatliche Beihilfe für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften“ der Kommission vom 4. April 2014 (ABl. 2014, C 99, S. 3, im Folgenden: Luftverkehrsleitlinien von 2014) enthält in ihrem Abschnitt 3 („Vorliegen einer staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV“) einen Abschnitt 3.5 („Finanzielle Beziehungen zwischen Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften“), der wiederum einen Abschnitt 3.5.2 namens „Ex-ante-Rentabilitätsanalyse“ enthält. Der Abschnitt 3.5.2 umfasst die Rn. 61 bis 66 dieser Leitlinien. Die Rn. 61, 63 und 66 bestimmen:

„61. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nach Auffassung der Kommission die Ex-ante-Analyse des inkrementellen Zuwachses der Rentabilität das am besten geeignete Kriterium für die Bewertung von Vereinbarungen, die Flughäfen mit einzelnen Luftverkehrsgesellschaften schließen.

63. Nach Auffassung der Kommission können zwischen Luftverkehrsgesellschaften und einem Flughafen geschlossene Vereinbarungen als mit dem Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Wirtschaftsbeteiligten im Einklang stehend betrachtet werden, wenn sie von einem Ex-ante-Standpunkt aus betrachtet inkrementell zur Rentabilität des Flughafens beitragen. Der Flughafen sollte bei der Aufsetzung einer Vereinbarung mit einer Luftverkehrsgesellschaft (z. B. individueller Vertrag oder allgemeine Flughafenentgelt-Regelung) aufzeigen, dass er während der Laufzeit der Vereinbarung in der Lage ist, die Kosten aus der Vereinbarung mit einer angemessenen Gewinnmarge … auf der Grundlage solider mittelfristiger Aussichten … zu decken.

66. Bei der Prüfung von zwischen einem Flughafen und Luftverkehrsgesellschaften geschlossenen Vereinbarungen wird die Kommission auch berücksichtigen, in welchem Maße die einer Prüfung unterzogenen Vereinbarungen im Rahmen einer zumindest langfristig auf Rentabilität abzielenden Gesamtstrategie des Flughafens zu betrachten sind.“

4 Abschnitt 5 dieser Leitlinien behandelt die Vereinbarkeit von Beihilfen nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV. In Abschnitt 5.1 wird erläutert, welche Kriterien kumulativ erfüllt sein müssen, damit Beihilfen für Flughäfen nach dieser Bestimmung für mit dem Binnenmarkt vereinbar betrachtet werden, während Abschnitt 5.2 die Anlaufbeihilfen für Luftverkehrsgesellschaften betrifft.

5 Rn. 172 dieser Leitlinien ist zu entnehmen, dass die Kommission die darin dargelegten Grundsätze auf alle Betriebsbeihilfen, einschließlich rechtswidriger Betriebsbeihilfen, für Flughäfen anwenden wird, auch wenn die Beihilfe vor dem 4. April 2014 bewilligt wurde. Rechtswidrige Anlaufbeihilfen für Luftverkehrsgesellschaften werden hingegen nach Rn. 174 dieser Leitlinien anhand der zum Zeitpunkt der Beihilfegewährung geltenden Vorschriften geprüft, und die Kommission wendet die in den Luftverkehrsleitlinien von 2014 dargelegten Grundsätze dementsprechend nicht auf vor dem 4. April 2014 gewährte rechtswidrige Anlaufbeihilfen für Luftverkehrsgesellschaften an.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss

6 Die Vorgeschichte des Rechtsstreits und der streitige Beschluss, die in den Rn. 1 bis 20 des angefochtenen Urteils erläutert werden, können wie folgt zusammengefasst werden.

7 TUIfly ist ein Unternehmen, das Luftverkehrsdienstleistungen erbringt. Es ging im Jänner 2007 durch Verschmelzung aus den Gesellschaften Hapag Lloyd Express GmbH (im Folgenden: HLX) und Hapag-Lloyd Flug hervor und erbrachte in der Folge die Luftverkehrsdienstleistungen, die zuvor von HLX erbracht worden waren. Der Flughafen Klagenfurt (Österreich) liegt am Stadtrand der gleichnamigen Stadt, der Hauptstadt des österreichischen Bundeslands Kärnten. Er wird von der Kärntner Flughafen Betriebsgesellschaft mbH (im Folgenden: KFBG) betrieben, die zuletzt in öffentlicher Hand war. KFBG hat eine 100%ige Tochtergesellschaft, die Destinations Management GmbH (im Folgenden: DMG), die verschiedene Dienstleistungen für den Flughafen erbringt, insbesondere Beratungsdienstleistungen im Zusammenhang mit der Steigerung der Attraktivität des Flughafens für Fluggesellschaften.

8 Im November 2002 lancierte DMG eine Ausschreibung für eine Linienflugverbindung zwischen Klagenfurt und einem europäischen Ballungszentrum, ausgenommen London (Vereinigtes Königreich) sowie Zielen mit einer Flugdistanz von weniger als 500 km. Da kein Angebot eingereicht wurde, wurde die Ausschreibung zurückgezogen. Daraufhin wurde ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung durchgeführt, bei dem eine Kooperationsvereinbarung mit HLX zustande kam. Diese Vereinbarung galt vom 30. August 2003 bis zum 31. März 2008 (im Folgenden: Vereinbarung von 2003). Mit dieser Vereinbarung verpflichtete sich HLX, die Strecken Klagenfurt‑Köln/Bonn (Deutschland) und Klagenfurt‑Hannover (Deutschland) einzurichten und zu bedienen. HLX verpflichtete sich außerdem, für den Flughafen Klagenfurt ein Paket von Marketingdienstleistungen zu erbringen. KFBG verpflichtete sich seinerseits, für die Initiierungskosten eine einmalige Zahlung und für die Marketingkosten monatliche Zahlungen zu leisten.

9 Im November 2003 lancierte DMG ein neues Ausschreibungsverfahren für die Einrichtung von regelmäßigen Flugverbindungen zwischen Klagenfurt und europäischen Ballungszentren mit den gleichen Ausnahmen wie in der vorangegangenen Ausschreibung. Da kein Angebot eingereicht wurde, wurde die Ausschreibung zurückgezogen. Daraufhin wurde ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung durchgeführt, bei dem eine Kooperationsvereinbarung mit HLX zustande kam. Ab dem 1. Mai 2004 bediente HLX zwei zusätzliche Ziele, nämlich Hamburg (Deutschland) und Berlin (Deutschland).

10 Nach der Verschmelzung von HLX und Hapag-Lloyd Flug, durch die TUIfly entstand, schloss KFBG mit dieser am 10. Dezember 2008 eine Folgevereinbarung. Diese Vereinbarung trat am 1. April 2008 in Kraft und lief am 31. März 2013 aus (im Folgenden: Vereinbarung von 2008). Mit dieser verpflichtete sich TUIfly, im Sommer 2008 und im Winter 2008/2009 die Strecken Klagenfurt‑Köln, Klagenfurt‑Hannover, Klagenfurt‑Hamburg und Klagenfurt‑Berlin zu bedienen. TUIfly musste im Rahmen dieser Vereinbarung außerdem ein umfassendes Paket von Marketingdienstleistungen erbringen. Im Gegenzug...

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