Comité interprofessionnel des huiles essentielles françaises (CIHEF) and Others v Ministre de la Transition écologique and Premier ministre.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:31
Date19 January 2023
Docket NumberC-147/21
Celex Number62021CJ0147
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

19. Januar 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Biozidprodukte – Verordnung (EU) Nr. 528/2012 – Art. 72 – Freier Warenverkehr – Art. 34 AEUV – Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, im Bereich der Geschäftspraktiken und der Werbung einschränkende Maßnahmen zu erlassen – Verkaufsmodalitäten, die nicht in den Anwendungsbereich von Art. 34 AEUV fallen – Rechtfertigung – Art. 36 AEUV – Ziel des Schutzes der Gesundheit von Mensch und Tier und der Umwelt – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑147/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 5. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 8. März 2021, in dem Verfahren

Comité interprofessionnel des huiles essentielles françaises (CIHEF),

Florame,

Hyteck Aroma-Zone,

Laboratoires Gilbert,

Laboratoire Léa Nature,

Laboratoires Oméga Pharma France,

Pierre Fabre Médicament,

Pranarom France,

Puressentiel France

gegen

Ministre de la Transition écologique,

Premier ministre

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. März 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– des Comité interprofessionnel des huiles essentielles françaises (CIHEF) und von Florame, Hyteck Aroma-Zone, Laboratoires Gilbert, Laboratoire Léa Nature, Laboratoires Oméga Pharma Frankreich, Pierre Fabre Médicament, Pranarom Frankreich und Puressentiel Frankreich, vertreten durch A. Bost, V. Lehmann und M. Ragot, Avocats,

– der französischen Regierung, vertreten durch G. Bain und T. Stéhelin als Bevollmächtigte,

– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, Avvocato dello Stato,

– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. A. M. de Ree als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lindenthal und F. Thiran als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Juni 2022

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl. 2012, L 167, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 334/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2014 (ABl. 2014, L 103, S. 22) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 528/2012 oder Verordnung).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Comité interprofessionnel des huiles essentielles françaises (Branchenübergreifender Ausschuss für französische ätherische Öle, CIHEF) und acht im Sektor der ätherischen Öle tätigen Unternehmen, die eine Klage auf Nichtigerklärung des Décret n° 2019-642, du 26 juin 2019, relatif aux pratiques commerciales prohibées pour certaines catégories de produits biocides (Dekret Nr. 2019-642 vom 26. Juni 2019 über verbotene Geschäftspraktiken für bestimmte Kategorien von Biozidprodukten, JORF vom 27. Juni 2019, S. 10) und des Décret n° 2019-643, du 26 juin 2019, relatif à la publicité commerciale pour certaines catégories de produits biocides (Dekret Nr. 2019-643 vom 26. Juni 2019 über die kommerzielle Werbung für bestimmte Kategorien von Biozidprodukten, JORF vom 27. Juni 2019, S. 11) erhoben haben, auf der einen Seite und der Ministre de la Transition écologique (Ministerin für den ökologischen Übergang, Frankreich) und dem Premier ministre (Premierminister, Frankreich) auf der anderen Seite.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 In den Erwägungsgründen 1 bis 3, 6, 28 und 31 der Verordnung Nr. 528/2012 heißt es:

„(1) Biozidprodukte sind notwendig zur Bekämpfung von für die Gesundheit von Mensch oder Tier schädlichen Organismen und zur Bekämpfung von Organismen, die natürliche oder gefertigte Materialien schädigen. Von Biozidprodukten kann allerdings aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaften und der hiermit in Verbindung stehenden Formen der Verwendung ein Risiko für Mensch, Tier und Umwelt ausgehen.

(2) Biozidprodukte sollten nur auf dem Markt bereitgestellt oder verwendet werden dürfen, wenn sie gemäß dieser Verordnung zugelassen wurden. Behandelte Waren sollten nur in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn alle Wirkstoffe, die in den Biozidprodukten enthalten sind, mit denen die behandelten Waren behandelt wurden oder die die behandelten Waren beinhalten, gemäß dieser Verordnung genehmigt wurden.

(3) Zweck dieser Verordnung ist es, den freien Verkehr von Biozidprodukten innerhalb der Union zu verbessern und gleichzeitig ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu gewährleisten. Besondere Aufmerksamkeit sollte dem Schutz gefährdeter Gruppen wie Schwangeren und Kindern gelten. Diese Verordnung sollte auf dem Vorsorgeprinzip beruhen, um sicherzustellen, dass die Herstellung und Bereitstellung auf dem Markt von Wirkstoffen und Biozidprodukten keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier und keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben. Um Hindernisse für den Handel mit Biozidprodukten so weit wie möglich zu beseitigen, sollten Regeln für die Genehmigung von Wirkstoffen sowie die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten, einschließlich Regeln für die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen und für den Parallelhandel, aufgestellt werden.

(6) Angesichts der wesentlichen Änderungen, die an den derzeitigen Regeln vorgenommen werden sollten, ist eine Verordnung das geeignete Rechtsinstrument, um die Richtlinie 98/8/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten (ABl. 1998, L 123, S. 1)] zu ersetzen, damit klare, ausführliche und unmittelbar geltende Regeln festgelegt werden können. Außerdem gewährleistet eine Verordnung, dass Rechtsvorschriften in der gesamten Union gleichzeitig und in harmonisierter Weise angewendet werden.

(28) Damit sichergestellt ist, dass nur Biozidprodukte auf dem Markt bereitgestellt werden, die den einschlägigen Vorschriften dieser Verordnung entsprechen, sollte für Biozidprodukte eine Zulassung erforderlich sein, die entweder die zuständigen Behörden in Bezug auf die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder eines Teils davon oder die Kommission in Bezug auf die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung in der Union erteilen.

(31) Um sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden einheitlich verfahren, sind gemeinsame Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Biozidprodukten erforderlich.“

4 Art. 1 („Ziel und Gegenstand“) der Verordnung bestimmt:

„(1) Ziel dieser Verordnung ist es, das Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu verbessern. Die Bestimmungen dieser Verordnung beruhen auf dem Vorsorgeprinzip, mit dem der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt sichergestellt werden soll. Dem Schutz gefährdeter Gruppen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

(2) Diese Verordnung regelt

a) die Erstellung einer auf Unionsebene gültigen Liste von Wirkstoffen, die in Biozidprodukten verwendet werden dürfen;

b) die Zulassung von Biozidprodukten;

c) die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen in der Union;

d) die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten in einem oder mehreren Mitgliedstaaten oder in der Union;

e) das Inverkehrbringen von behandelten Waren.“

5 Art. 2 („Geltungsbereich“) der Verordnung sieht vor:

„(1) Diese Verordnung gilt für Biozidprodukte und behandelte Waren. Anhang V enthält eine Liste der unter diese Verordnung fallenden Arten von Biozidprodukten mit ihrer Beschreibung.

(3) Sofern in dieser Verordnung oder in anderen Unionsvorschriften nicht ausdrücklich anders geregelt, gilt diese Verordnung unbeschadet der folgenden Rechtsvorschriften:

k) Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung [ABl. 2006, L 376, S. 21];

m) Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen[, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. 2008, L 353, S. 1)];

…“

6 Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung sieht vor:

„(1) Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

i) ,Bereitstellung auf dem Markt‘ jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Biozidprodukts oder einer behandelten Ware zum Vertrieb oder zur Verwendung im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit;

j) ,Inverkehrbringen‘ die erste Bereitstellung eines Biozidprodukts oder einer behandelten Ware auf dem Markt;

k) ,Verwendung‘ alle mit einem Biozidprodukt durchgeführten Maßnahmen, einschließlich Lagerung, Handhabung, Mischung und Anwendung, außer Maßnahmen, die zur Ausfuhr des Biozidprodukts oder der behandelten Ware aus der Union stattfinden;

y) ,Werbung‘ ein Mittel zur Förderung des Verkaufs oder der Verwendung von Biozidprodukten durch gedruckte, elektronische oder andere Medien;

…“

7 Kapitel IV („Allgemeine Grundsätze für die Zulassung von Biozidprodukten“) der Verordnung Nr. 528/2012 enthält Art. 17 („Bereitstellung von Biozidprodukten auf dem Markt“), der bestimmt:

„(1)...

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