European Commission v Slovak Republic.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:450
Date08 June 2023
Docket NumberC-540/21
Celex Number62021CJ0540
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

8. Juni 2023(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen – Richtlinie (EU) 2015/2302 – Art. 12 Abs. 2 bis 4 – Beendigung eines Pauschalreisevertrags – Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände – Covid-19-Pandemie – Erstattung der Zahlungen, die der betreffende Reisende für eine Pauschalreise getätigt hat – Erstattung in Form eines Geldbetrags oder in Form einer Ersatzpauschalreise – Verpflichtung zur Erstattung an diesen Reisenden spätestens 14 Tage nach der Beendigung des betreffenden Vertrags – Vorübergehende Abweichung von dieser Verpflichtung“

In der Rechtssache C‑540/21

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 27. August 2021,

Europäische Kommission, vertreten durch R. Lindenthal, I. Rubene und A. Tokár als Bevollmächtigte,

Klägerin,

unterstützt durch

Königreich Dänemark, vertreten zunächst durch V. Pasternak Jørgensen und M. Søndahl Wolff, dann durch M. Søndahl Wolff als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

gegen

Slowakische Republik, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer,

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Slowakische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtung aus Art. 12 Abs. 2, Abs. 3 Buchst. b und Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (ABl. 2015, L 326, S. 1) in Verbindung mit Art. 4 der Richtlinie 2015/2302 verstoßen hat, dass sie mit dem Erlass des Zákon č. 136/2020 Z. z. (Gesetz Nr. 136/2020 Slg.) vom 20. Mai 2020 (im Folgenden: Gesetz Nr. 136/2020) § 33a in den Zákon č. 170/2018 Z. z. o zájazdoch, spojených službách cestovného ruchu, niektorých podmienkach podnikania v cestovnom ruchu a o zmene a doplnení niektorých zákonov (Gesetz Nr. 170/2018 Slg. über Pauschalreisen, verbundene Reiseleistungen, bestimmte Bedingungen für die Tätigkeit im Reisegeschäft und zur Änderung und Ergänzung bestimmter Gesetze) vom 15. Mai 2018 (im Folgenden: Gesetz Nr. 170/2018) eingefügt hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2015/2302

2 In den Erwägungsgründen 4, 5, 31, 40 und 46 der Richtlinie 2015/2302 heißt es:

„(4) Die Richtlinie 90/314/EWG [des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. 1990, L 158, S. 59)] ließ den Mitgliedstaaten einen breiten Umsetzungsspielraum. Daher bestehen erhebliche Unterschiede im jeweiligen Recht der Mitgliedstaaten. Die unterschiedlichen Regelungen haben für die Unternehmen höhere Kosten zur Folge, was ihre Bereitschaft, ihre Geschäftstätigkeit auf andere Mitgliedstaaten auszuweiten, hemmt und damit die Verbraucher in ihren Wahlmöglichkeiten beschränkt.

(5) … Um einen echten Binnenmarkt für Verbraucher bei Pauschalreisen und verbundenen Reiseleistungen zu schaffen, müssen die Rechte und Pflichten, die sich aus Pauschalreiseverträgen und verbundenen Reiseleistungen ergeben, so harmonisiert werden, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dieser Branche gewährleistet ist.

(31) Reisende sollten jederzeit vor Beginn der Pauschalreise gegen Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Rücktrittsgebühr – unter Berücksichtigung der erwarteten ersparten Aufwendungen sowie der Einnahmen aus einer anderweitigen Verwendung der Reiseleistungen – von dem Pauschalreisevertrag zurücktreten können. Zudem sollten sie ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurücktreten können, wenn die Durchführung der Reise durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände erheblich beeinträchtigt wird. Dies kann zum Beispiel Kriegshandlungen, andere schwerwiegende Beeinträchtigungen der Sicherheit wie Terrorismus, erhebliche Risiken für die menschliche Gesundheit wie einen Ausbruch einer schweren Krankheit am Reiseziel oder Naturkatastrophen wie Hochwasser oder Erdbeben oder Witterungsverhältnisse, die eine sichere Reise an das im Pauschalreisevertrag vereinbarte Reiseziel unmöglich machen, umfassen.

(40) Damit der Schutz vor Insolvenz wirksam ist, sollte er die vorhersehbaren Zahlungsbeträge, die von der Insolvenz eines Reiseveranstalters betroffen sind, und gegebenenfalls die vor[her]sehbaren Kosten der Rückbeförderungen abdecken. … Das wird in der Regel bedeuten, dass die Absicherung einen ausreichend hohen Prozentsatz des Umsatzes des Veranstalters in Bezug auf Pauschalreisen abdecken muss … Ein wirksamer Insolvenzschutz sollte jedoch nicht bedeuten, dass sehr unwahrscheinliche Risiken berücksichtigt werden müssen, wie beispielsweise die gleichzeitige Insolvenz mehrerer der größten Reiseveranstalter, wenn dies unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Kosten des Schutzes haben und somit seine Wirksamkeit beeinträchtigen würde. In solchen Fällen kann die garantierte Erstattung begrenzt sein.

(46) Es sollte bekräftigt werden, dass Reisende nicht auf ihre Rechte aus dieser Richtlinie verzichten dürfen und dass sich Reiseveranstalter oder Unternehmer, die verbundene Reiseleistungen vermitteln, ihren Pflichten nicht dadurch entziehen dürfen, dass sie geltend machen, lediglich als Erbringer von Reiseleistungen, Vermittler oder in anderer Eigenschaft tätig zu sein.“

3 Art. 1 der Richtlinie 2015/2302 lautet:

„Der Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Verträge über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen zwischen Reisenden und Unternehmern, um so zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts und zu einem hohen und möglichst einheitlichen Verbraucherschutzniveau beizutragen.“

4 Art. 3 der Richtlinie 2015/2302 bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

6. ‚Reisender‘ jede Person, die auf der Grundlage dieser Richtlinie einen Vertrag schließen möchte oder die zu einer Reise auf der Grundlage eines im Rahmen dieser Richtlinie geschlossenen Vertrags berechtigt ist;

8. ‚Reiseveranstalter‘ einen Unternehmer, der entweder direkt oder über einen anderen Unternehmer oder gemeinsam mit einem anderen Unternehmer Pauschalreisen zusammenstellt und verkauft oder zum Verkauf anbietet …

12. ‚unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände‘ eine Situation außerhalb der Kontrolle der Partei, die eine solche Situation geltend macht, deren Folgen sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären;

…“

5 Art. 4 („Grad der Harmonisierung“) der Richtlinie 2015/2302 lautet:

„Sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt, erhalten die Mitgliedstaaten weder von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichende nationale Rechtsvorschriften aufrecht noch führen sie solche ein; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Rechtsvorschriften zur Gewährleistung eines anderen Schutzniveaus für den Reisenden.“

6 Art. 12 („Beendigung des Pauschalreisevertrags und Recht zum Widerruf vor Beginn der Pauschalreise“) der Richtlinie 2015/2302 sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reisende vor Beginn der Pauschalreise jederzeit vom Pauschalreisevertrag zurücktreten kann. Tritt der Reisende gemäß diesem Absatz vom Pauschalreisevertrag zurück, so kann der Reiseveranstalter die Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Rücktrittsgebühr verlangen. …

(2) Ungeachtet des Absatzes 1 hat der Reisende das Recht, vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Im Fall des Rücktritts vom Pauschalreisevertrag gemäß diesem Absatz hat der Reisende Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen, jedoch auf keine zusätzliche Entschädigung.

(3) Der Reiseveranstalter kann den Pauschalreisevertrag beenden und dem Reisenden alle für die Pauschalreise getätigten Zahlungen voll erstatten, ohne jedoch eine zusätzliche Entschädigung leisten zu müssen, wenn

b) der Reiseveranstalter aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert ist und er den Reisenden unverzüglich vor Beginn der Pauschalreise von der Beendigung des Vertrags in Kenntnis setzt.

(4) Der Reiseveranstalter leistet alle Erstattungen gemäß den Absätzen 2 und 3 oder zahlt dem Reisenden gemäß Absatz 1 alle von dem Reisenden oder in seinem Namen für die Pauschalreise geleisteten Beträge abzüglich einer angemessenen Rücktrittsgebühr zurück. Der Reisende erhält diese Erstattungen oder Rückzahlungen unverzüglich und in jedem Fall innerhalb von spätestens 14 Tagen nach Beendigung des Pauschalreisevertrags.

…“

7 Art. 23 („Unabdingbarkeit der Richtlinie“) der Richtlinie 2015/2302 bestimmt:

„…

(2) Reisende dürfen nicht auf die Rechte verzichten, die ihnen aus den nationalen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie zustehen.

(3) Vertragliche Vereinbarungen oder Erklärungen des Reisenden, die einen Verzicht auf die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Rechte oder deren Einschränkung unmittelbar oder mittelbar bewirken oder die darauf gerichtet sind, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen, sind für den Reisenden nicht...

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