Conclusiones del Abogado General Sr. J. Richard de la Tour, presentadas el 12 de noviembre de 2020.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2020:921
Celex Number62019CC0703
Date12 November 2020
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 12. November 2020(1)

Rechtssache C703/19

J.K.

gegen

Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach,

Beteiligter:

Rzecznik Małych i Średnich Przedsiębiorców,

(Vorabentscheidungsersuchen des Naczelny Sąd Administracyjny [Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerwesen – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 98 – Möglichkeit der Mitgliedstaaten, auf bestimmte Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen einen oder zwei ermäßigte Mehrwertsteuersätze anzuwenden – Einstufung einer Geschäftstätigkeit als ‚Lieferung von Gegenständen‘ oder ,Dienstleistung‘ – Anhang III Nrn. 1 und 12a – Begriffe der ‚Nahrungsmittel‘ sowie der ‚Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen‘ – Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr vor Ort in den Geschäftsräumen des Verkäufers oder in einem Gastronomiebereich – Mitnahmemahlzeiten zum sofortigen Verzehr“






I. Einleitung

1. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bezieht sich auf die Auslegung von Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(2) in Verbindung mit Anhang III Nr. 12a dieser Richtlinie und Art. 6 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(3).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, der die Besteuerung von Umsätzen, die in der Lieferung von Speisen in nach Maßgabe eines Franchisevertrags organisierten Schnellrestaurants mittels verschiedener Verkaufsverfahren bestehen, zu ermäßigten Steuersätzen zum Gegenstand hat.

3. Die vorstehend beschriebenen Umstände werden den Gerichtshof veranlassen, erstmals die Definition des Begriffs „Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen“ auszulegen, die der Unionsgesetzgeber im besonderen Rahmen der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit gewählt hat, auf bestimmte Kategorien von Gegenständen oder Dienstleistungen zwei ermäßigte Mehrwertsteuersätze anzuwenden.

4. Im Rahmen meiner Würdigung werde ich in Erinnerung rufen, unter welchen Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden kann, und vorschlagen, ein allgemeines Kriterium heranzuziehen, das es ermöglicht, für Zwecke der Besteuerung einer mit unterstützenden Dienstleistungen einhergehenden Lieferung von zubereiteten Speisen zu ermäßigten Steuersätzen zwischen dem Begriff „Nahrungsmittel“ und dem Begriff „Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen“ zu unterscheiden, da diese unterstützenden Dienstleistungen durch ihren Facettenreichtum und ihre vielfältigen Bedeutungsgrade gekennzeichnet sind, die einen einfachen Vergleich mit den Umständen, die früher eine Anrufung des Gerichtshofs begründet haben, nicht erlauben.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

1. Mehrwertsteuerrichtlinie

5. Unter Titel VIII („Steuersätze“) der Mehrwertsteuerrichtlinie umfasst Kapitel 2 („Struktur und Höhe der Steuersätze“) einen ersten, dem „Normalsatz“ gewidmeten Abschnitt, der Art. 96 folgenden Wortlauts enthält:

„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“(4)

6. Der zweite Abschnitt („Ermäßigte Steuersätze“) dieses Kapitels 2 umfasst Art. 98 der Mehrwertsteuerrichtlinie(5), der bestimmt(6):

„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.

(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.

Die ermäßigten Steuersätze sind nicht anwendbar auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen.

(3) Zur Anwendung der ermäßigten Steuersätze im Sinne des Absatzes 1 auf Kategorien von Gegenständen können die Mitgliedstaaten die betreffenden Kategorien anhand der Kombinierten Nomenklatur[(7)] genau abgrenzen.“

7. Art. 99 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„(1) Die ermäßigten Steuersätze werden als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festgesetzt, der mindestens 5 % betragen muss.

(2) Jeder ermäßigte Steuersatz wird so festgesetzt, dass es normalerweise möglich ist, von dem Mehrwertsteuerbetrag, der sich bei Anwendung dieses Steuersatzes ergibt, die gesamte nach den Artikeln 167 bis 171 sowie 173 bis 177 abziehbare Vorsteuer abzuziehen.“

8. Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie ist überschrieben mit „Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze gemäß Artikel 98 angewandt werden können“. In seiner Nr. 1 sind u. a. Nahrungsmittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen) aufgeführt. In der durch die Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf ermäßigte Mehrwertsteuersätze(8) eingefügten Nr. 12a dieses Anhangs werden Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen erwähnt. Die Abgabe von (alkoholischen und/oder alkoholfreien) Getränken kann ausgeklammert werden.

2. Durchführungsverordnung Nr. 282/2011

9. Gemäß dem zehnten Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 „ist [es] erforderlich, Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen, die Abgrenzung zwischen diesen beiden Dienstleistungen sowie ihre angemessene Behandlung klar zu definieren“.

10. Art. 6 dieser Durchführungsverordnung bestimmt:

„(1) Als Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen gelten die Abgabe zubereiteter oder nicht zubereiteter Speisen und/oder Getränke, zusammen mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen, die deren sofortigen Verzehr ermöglichen. Die Abgabe von Speisen und/oder Getränken ist nur eine Komponente der gesamten Leistung, bei der der Dienstleistungsanteil überwiegt. Restaurantdienstleistungen sind die Erbringung solcher Dienstleistungen in den Räumlichkeiten des Dienstleistungserbringers[,] und Verpflegungsdienstleistungen sind die Erbringung solcher Dienstleistungen an einem anderen Ort als den Räumlichkeiten des Dienstleistungserbringers.

(2) Die Abgabe von zubereiteten oder nicht zubereiteten Speisen und/oder Getränken mit oder ohne Beförderung, jedoch ohne andere unterstützende Dienstleistungen, gilt nicht als Restaurant- oder Verpflegungsdienstleistung im Sinne des Absatzes 1.“

B. Polnisches Recht

11. Art. 5a der Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen)(9) vom 11. März 2004 in ihrer auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbaren Fassung(10) bestimmt:

„Gegenstände oder Dienstleistungen, die Gegenstand der in Art. 5 genannten Umsätze sind und in den auf der Grundlage der Vorschriften für amtliche Statistiken geschaffenen Klassifikationen aufgeführt werden, sind mittels dieser Klassifikationen zu identifizieren, wenn die Rechtsvorschriften oder regulatorischen Durchführungsmaßnahmen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen statistische Kategorien zuordnen.“

12. § 3 Nr. 1 der Rozporządzenie Rady Ministrów w sprawie Polskiej Klasyfikacji Wyrobów i Usług (Verordnung des Ministerrates über die Polnische Klassifikation von Waren und Dienstleistungen)(11) vom 4. September 2015 bestimmt:

„Zu Zwecken

1. der Mehrwertsteuer,

kommt bis zum 31. Dezember 2017 die Polnische Klassifikation von Waren und Dienstleistungen zur Anwendung, die durch die Rozporządzenie Rady Ministrow w sprawie Polskiej Klasyfikacji Wyrobów i Usług [Verordnung des Ministerrates über die Polnische Klassifikation von Waren und Dienstleistungen(12)] (PKWiU) vom 29. Oktober 2008 eingeführt wurde.“

13. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes beträgt der Mehrwertsteuernormalsatz 22 %. Art. 41 Abs. 2a dieses Gesetzes sieht vor:

„Der Steuersatz für Gegenstände, die in Anhang 10 dieses Gesetzes aufgeführt werden, beträgt 5 %.“

14. Anhang 10 Nr. 28 des Mehrwertsteuergesetzes ist mit „Fertige Mahlzeiten und Speisen unter Ausschluss von Produkten mit einem Alkoholgehalt von über 1,2 %“ überschrieben.

15. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Rozporządzenie Ministra Finansów w sprawie towarów i usług dla których obniża się stawkę podatku od towarów i usług oraz warunków stosowania stawek obniżonych (Verordnung des Finanzministers über Gegenstände und Dienstleistungen, für die der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt, sowie die Bedingungen für die Anwendung der ermäßigten Steuersätze)(13) vom 23. Dezember 2013 bestimmt:

„Der Mehrwertsteuersatz gemäß Art. 41 Abs. 1 des [Mehrwertsteuer‑] Gesetzes wird auf 8 % ermäßigt für

1. Gegenstände und Dienstleistungen, die im Anhang der vorliegenden Verordnung aufgeführt sind“.

16. Nr. III Pos. 7 des Anhangs dieser Verordnung hat folgenden Wortlaut:

„Gastronomiedienstleistungen (Nr. ex[(14)] 56 PKWiU)[(15)] unter Ausschluss des Verkaufs von

1) alkoholischen Getränken, deren Alkoholgehalt 1,2 % übersteigt,

2) alkoholischen Getränken, bei denen es sich um eine Mischung von Bier und nichtalkoholischen Getränken handelt und deren Alkoholgehalt 0,5 % übersteigt,

3) Getränken, bei deren Zubereitung Tee- oder Kaffeeaufguss verwendet wird, und zwar unabhängig vom prozentualen Anteil dieses Aufgusses an dem zubereiteten Getränk,

4) kohlensäurehaltigen alkoholfreien Getränken,

5) Mineralwasser,

6) anderen unverarbeiteten Gegenständen, deren Steuersatz sich aus Art. 41 Abs. 1 des [Mehrwertsteuer‑] Gesetzes ergibt.“

17. Nr. 56.1 („Restaurantdienstleistungen und Dienstleistungen sonstiger Gastronomiebetriebe“) PKWiU umfasst u. a. die Kategorien 56.10.11 („Zubereitung und Servieren von Mahlzeiten in Restaurants“), 56.10.13 („Zubereitung und Servieren von Mahlzeiten in Selbstbedienungsrestaurants“) und 56.10.19 („übrige Dienstleistungen, die das Servieren von Mahlzeiten betreffen“).

18. Den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge wird die PKWiU anhand der Rozporządzenie Rady Ministrów w...

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