Opinion of Advocate General Kokott delivered on 28 April 2022.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:327
Date28 April 2022
Celex Number62021CC0202
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 28. April 2022(1)

Rechtssache C202/21 P

ABLV Bank AS, in Liquidation

gegen

Einheitlicher Abwicklungsausschuss (SRB)

„Rechtsmittel – Bankenunion – Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute und bestimmte Wertpapierfirmen (SRM) – Verordnung (EU) Nr. 806/2014 (SRM-Verordnung) – Einheitlicher Abwicklungsfonds (SRF) – Im Voraus erhobene Beiträge eines Kreditinstituts zum SRF während der Aufbauphase – Entzug der Zulassung eines Kreditinstituts im Laufe eines Beitragsjahrs – Delegierte Verordnung (EU) 2015/63 der Kommission – Verweigerung der anteiligen Rückerstattung im Voraus erhobener Beiträge – Durchführungsverordnung (EU) 2015/81 des Rates“






I. Einleitung

1. Um eines der Ziele der Bankenunion zu erreichen – keine Bankenrettung mehr auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler –, bedarf es neben der Verlustbeteiligung von Anlegerinnen und Anlegern im Fall des Ausfalls einer Bank alternativer Finanzierungsmechanismen, um gegebenenfalls deren geordnete Abwicklung zu bewerkstelligen.(2)

2. Daher wurde zum 1. Januar 2016 durch die SRM-Verordnung(3) ein Einheitlicher Abwicklungsfonds (SRF, für Single Resolution Fund) zur Finanzierung von Abwicklungsverfahren geschaffen, dessen Mittel vom Bankensektor in den Mitgliedstaaten der Bankenunion selbst stammen.(4) Parallel dazu verpflichtet die BRRD alle Mitgliedstaaten bereits seit dem 1. Januar 2015, nationale Finanzierungsmechanismen mit entsprechender Zielsetzung und Finanzierung einzurichten.(5)

3. Die Gewährleistung einer wirksamen und ausreichenden Finanzierung des SRF ist für die Glaubwürdigkeit des einheitlichen Abwicklungsmechanismus von überragender Bedeutung.(6) Nach Ansicht des Gesetzgebers bedarf es hierzu der Ansammlung von Mitteln, die mindestens 1 % der gedeckten Einlagen(7) aller in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Kreditinstitute entsprechen (sogenannte Zielausstattung). Eine derart große Summe – schätzungsweise 55 bis 70 Mrd. Euro – kann aber nicht auf einmal vom Bankensektor aufgebracht werden. Daher wurde festgelegt, dass der Fonds während einer Aufbauphase von acht Jahren (2016 bis 2023) schrittweise durch im Voraus erhobene Beiträge der Banken gefüllt wird, so dass die Zielausstattung erst 2024 vollständig zur Verfügung steht.

4. Konkret wird über diesen Zeitraum pro Jahr 1/8 des (geschätzten) Betrags der Zielausstattung des SRF im Jahr 2024 eingesammelt. Und zwar bei den Banken, die jeweils am 1. Januar des Beitragsjahrs in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassen sind, wobei ihre individuelle Beitragspflicht nach Größe und Risikoprofil gewichtet wird.

5. Damit der SRF von Beginn an handlungsfähig ist, wurden zudem die Beiträge, die im Jahr 2015 – also vor Inkrafttreten der SRM-Verordnung – von den Mitgliedstaaten der Bankenunion auf alleiniger Grundlage der BRRD erhoben wurden, bereits als „Startkapital“ zum 31. Januar 2016 auf den SRF übertragen. Diese Beiträge werden über die Aufbauphase mit den jährlich im Voraus erhobenen Beiträgen der Banken zum SRF verrechnet(8): Jedes Jahr wird hierbei 1/8 des Beitrags von 2015 von dem errechneten Betrag des im Voraus erhobenen Beitrags für das betreffende Jahr abgezogen.

6. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat der Klägerin in erster Instanz und Rechtsmittelführerin im vorliegenden Verfahren im Laufe des Jahres 2018 ihre Zulassung als Kreditinstitut entzogen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihren im Voraus erhobenen Beitrag zum SRF für 2018 bereits entrichtet. Sie ist daher der Auffassung, dass dieser Beitrag, sowie der Teil ihres Beitrags von 2015, der noch nicht mit künftigen Beiträgen verrechnet wurde, ihr anteilig zurückerstattet werden müsste. Vor dem Gericht ist sie damit im Ergebnis gescheitert.

7. Zwar war der Gerichtshof bereits mit verschiedenen Aspekten der Erhebung im Voraus zu entrichtender Beiträge zum SRF befasst.(9) Zur Entscheidung über das vorliegende Rechtsmittel ist es jedoch nötig, die Funktionsweise des Systems im Voraus erhobener Beiträge zum Aufbau des SRF und damit die Natur dieser Beiträge grundsätzlicher zu beleuchten.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Übereinkommen über die Übertragung von Beiträgen auf den SRF

8. Das zwischenstaatliche Übereinkommen über die Übertragung von Beiträgen auf den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und deren gemeinsame Nutzung (im Folgenden: IGA für Intergovernmental Agreement) vom 14. Mai 2014 lautet in seinen Erwägungsgründen auszugsweise wie folgt:

„(7) Mit der SRM-Verordnung werden insbesondere ein Fonds sowie die Modalitäten für dessen Inanspruchnahmen festgelegt. Mit der BRRD-Richtlinie und der SRM-Verordnung werden die allgemeinen Kriterien zur Bestimmung der Höhe und der Berechnung der erforderlichen … Beiträge … ebenso festgelegt wie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, diese auf nationaler Ebene zu erheben. Dessen ungeachtet bleiben die teilnehmenden Mitgliedstaaten, die gemäß der BRRD-Richtlinie und der SRM-Verordnung die Beiträge der in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet niedergelassenen Institute erheben, zuständig, diese Beiträge auf den Fonds zu übertragen. Die Verpflichtung zur Übertragung der auf nationaler Ebene erhobenen Beiträge auf den Fonds leitet sich nicht aus Unionsrecht ab. Diese Verpflichtung wird mit dem vorliegenden Übereinkommen begründet, in dem die Bedingungen festgelegt sind, welche die Vertragsparteien nach Maßgabe ihrer jeweiligen verfassungsrechtlichen Anforderungen gemeinsam für die Übertragung der von ihnen auf nationaler Ebene erhobenen Beiträge auf den Fonds vereinbaren.

(12) Die nationalen Rechtsvorschriften zur Durchführung der BRRD-Richtlinie … werden ab dem 1. Januar 2015 angewandt. Die Bestimmungen zur Schaffung des [SRF] werden grundsätzlich ab dem 1. Januar 2016 anwendbar sein. Folglich werden die Vertragsparteien die Beiträge erheben, die für den nationalen Abwicklungsfinanzierungsmechanismus vorgesehen sind, den sie bis zum Geltungsbeginn der SRM-Verordnung zu schaffen haben, also dem Zeitpunkt, zu dem sie beginnen werden, die für den Fonds vorgesehenen Beiträge zu erheben. Zur Stärkung der Finanzkraft des Fonds ab dem Zeitpunkt seiner Schaffung verpflichten sich die Vertragsparteien, die von ihnen gemäß der BRRD-Richtlinie erhobenen Beiträge bis zum Geltungsbeginn der SRM-Verordnung auf den Fonds zu übertragen.“

9. Art. 1 Abs. 1 des IGA bestimmt:

„Mit diesem Übereinkommen verpflichten sich die Vertragsparteien dazu,

a) die auf nationaler Ebene im Einklang mit der BRRD-Richtlinie und der SRM-Verordnung erhobenen Beiträge auf den mit jener Verordnung errichteten einheitlichen Abwicklungsfonds … zu übertragen, und

b) während eines Übergangszeitraums, der … zu dem Zeitpunkt endet, an dem der Fonds die in Artikel 68 der SRM-Verordnung festgelegte Zielausstattung erreicht hat, höchstens jedoch 8 Jahre nach dem Beginn der Anwendung dieses Übereinkommens … die von ihnen gemäß der SRM-Verordnung und der BRRD-Richtlinie auf nationaler Ebene erhobenen Beiträge auf die verschiedenen, jeder Vertragspartei entsprechenden Kammern zu übertragen. Bei den Kammern erfolgt schrittweise eine gemeinsame Nutzung in der Weise, dass sie am Ende des Übergangszeitraums aufhören zu bestehen,

und unterstützen dadurch die wirksame Arbeits- und Funktionsweise des Fonds.“

10. Art. 3 des IGA sieht vor:

„(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich gemeinsam, die Beiträge, die sie von den in den jeweiligen Hoheitsgebieten der teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten gemäß den Artikeln 69 und 70 der SRM-Verordnung und im Einklang mit den darin und in den delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten, auf die sich diese beziehen, festgelegten Kriterien erheben, unwiderruflich auf den Fonds zu übertragen. Die Übertragung von Beiträgen erfolgt im Einklang mit den in den Artikeln 4 bis 10 dieses Übereinkommens festgelegten Bedingungen.

(3) Beiträge, die von den Vertragsparteien gemäß den Artikeln 103 und 104 der BRRD-Richtlinie vor dem Beginn der Anwendung dieses Übereinkommens erhoben wurden, werden spätestens bis zum 31. Januar 2016 oder, falls das Übereinkommen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten ist, spätestens einen Monat nach seinem Inkrafttreten auf den Fonds übertragen.

…“

B. Unionsrecht

1. SRM-Verordnung

11. Art. 67 Abs. 1 der SRM-Verordnung(10) errichtet den einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF). Nach dieser Vorschrift wird der SRF gemäß den im IGA verankerten Regelungen über die Übertragung der auf nationaler Ebene erhobenen Mittel auf den Fonds gefüllt. Gemäß Abs. 3 dieser Vorschrift ist Eigentümer des SRF der Einheitliche Abwicklungsausschuss (SRB, für Single Resolution Board).

12. Art. 69 der SRM-Verordnung sieht Folgendes vor:

„(1) Bis zum Ende einer Aufbauphase von acht Jahren ab dem 1. Januar 2016 … erreichen die verfügbaren Mittel des Fonds mindestens 1 % der gedeckten Einlagen aller in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Kreditinstitute.

(2) Während der in Absatz 1 genannten Aufbauphase werden die gemäß Artikel 70 berechneten und nach Artikel 67 Absatz 4 erhobenen Beiträge zum Fonds zeitlich so gleichmäßig wie möglich gestaffelt, bis die Zielausstattung erreicht ist, wobei jedoch die Konjunkturphase und die etwaigen Auswirkungen prozyklischer Beiträge auf die Finanzlage der beitragenden Institute zu berücksichtigen sind.

(4) Liegt nach der in Absatz 1 genannten Aufbauphase der Betrag der verfügbaren Mittel unter der in dem genannten Absatz angegebenen Zielausstattung, werden die nach Artikel 70 berechneten regulären Beiträge erhoben, bis die Zielausstattung erreicht ist. Nachdem die Zielausstattung erstmals erreicht worden ist und nachdem die verfügbaren Finanzmittel auf weniger als zwei Drittel der Zielausstattung abgeschmolzen sind, werden die genannten Beiträge in einer Höhe festgelegt, mit der die Zielausstattung binnen sechs Jahren erreicht werden kann. …“

13. Art. 70 der SRM-Verordnung lautet:

„(1) Die jeweiligen Beiträge der...

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