Conclusions de l'avocat général Mme J. Kokott, présentées le 2 juillet 2020.

JurisdictionEuropean Union
Date02 July 2020
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 2. Juli 2020(1)

Verbundene Rechtssachen C245/19 und C246/19

État du Grand-duché de Luxembourg

gegen

B (C245/19),

B,

C,

D,

F.C. (C246/19),

Beteiligte:

A

(Rechtsschutz gegen Informationsersuchen im Steuerrecht)

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour administrative [Verwaltungsgerichtshof, Luxembourg])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Richtlinie 2011/16/EU – Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung – Art. 1 Abs. 1 – Art. 5 – Informationsersuchen der Finanzbehörde eines anderen Mitgliedstaats – Auskunftsanordnung der ersuchten Finanzbehörde – Voraussichtliche Erheblichkeit der erbetenen Informationen – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 7 und 8 – Art. 47 – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht – Ausschluss von Rechtsbehelfen des Auskunftsverpflichteten, des von der Auskunft betroffenen Steuerpflichtigen und anderer davon betroffener Dritter“






I. Einleitung

1. Die effektive Bekämpfung von Steuervermeidung oder gar Steuerhinterziehung steht gegenwärtig im Fokus der Öffentlichkeit, der rechtlichen Reformen(2) und der Rechtsprechung des Gerichtshofs(3). Zweifellos erfordert der internationale Kampf gegen Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerung durch Steuerpflichtige (sogenanntes BEPS-Projekt der OECD(4)) eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Finanzbehörden der Staaten und insbesondere einen effektiven Datenaustausch.

2. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen beschäftigt sich mit der anderen Seite eines effektiven Informationsaustauschsystems: den Rechtsgütern (z. B. dem Grundrecht auf Datenschutz) der auskunftspflichtigen Personen, der Steuerpflichtigen und weiterer Dritter – die unter Umständen keine Kenntnis von der Weitergabe ihrer Daten haben. Im vorliegenden Fall hatte das Großherzogtum Luxemburg einen Rechtsbehelf gegen Auskunftsanordnungen per Gesetz explizit ausgeschlossen.

3. In der Rechtssache Berlioz(5) hat der Gerichtshof diesbezüglich bereits entschieden, dass derjenige, der im Rahmen eines Austauschs zwischen nationalen Steuerbehörden aufgrund der Richtlinie 2011/16(6) zur Auskunft verpflichtet ist, das Recht hat, im ersuchten Mitgliedstaat die Rechtmäßigkeit der Auskunftsanordnung mittelbar im Rahmen der Anfechtung einer Bußgeldentscheidung zu überprüfen, die die ersuchte Behörde wegen seiner Auskunftsverweigerung verhängt hat.(7)

4. Nunmehr geht es in diesem Vorabentscheidungsersuchen um den Rechtsbehelf unmittelbar gegen die Auskunftsanordnung der nationalen Finanzbehörde, die der ersuchenden Finanzbehörde eines anderen Mitgliedstaats Informationen zur Verfügung stellen will bzw. muss. Dabei wehren sich hier nicht nur der Auskunftsverpflichtete, sondern auch die Steuerpflichtige und weitere betroffene Dritte.

5. Der Gerichtshof muss nun klären, ob bereits die Auskunftsanordnung nach Maßgabe der Richtlinie 2011/16 einen Grundrechtseingriff bei dem Auskunftsverpflichteten, dem Steuerpflichtigen und weiteren betroffenen Dritten darstellt, gegen den ein wirksamer Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta statthaft sein muss. Darüber hinaus steht in Frage, wie konkret und präzise das Ersuchen im Hinblick auf die betroffenen Personen gefasst sein muss, damit die ersuchte Steuerbehörde die „voraussichtliche Erheblichkeit“ der angeforderten Informationen für das Steuerverfahren im anderen Mitgliedstaat beurteilen kann. Nur „voraussichtlich erhebliche“ Informationen sind nämlich Gegenstand der Verwaltungszusammenarbeit nach der Richtlinie 2011/16.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

1. Charta der Grundrechte der Europäischen Union

6. Art. 7 der Charta („Achtung des Privat- und Familienlebens“) lautet:

„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.“

7. Art. 8 der Charta („Schutz personenbezogener Daten“) sieht vor:

„(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.

(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken.

(3) …“

8. In Art. 47 Abs. 1 der Charta ist das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf geregelt:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.“

2. Richtlinie 2011/16

9. Im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/16 heißt es:

„… Mit dem Standard der ‚voraussichtlichen Erheblichkeit‘ soll gewährleistet werden, dass ein Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten im größtmöglichen Umfang stattfindet, und zugleich klargestellt werden, dass es den Mitgliedstaaten nicht gestattet ist, sich an Beweisausforschungen (‚fishing expeditions‘) zu beteiligen oder um Informationen zu ersuchen, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie für die Steuerangelegenheiten eines bestimmten Steuerpflichtigen erheblich sind … “

10. Art. 1 bestimmt den Gegenstand der Richtlinie 2011/16:

„(1) Diese Richtlinie legt die Regeln und Verfahren fest, nach denen die Mitgliedstaaten untereinander im Hinblick auf den Austausch von Informationen zusammenarbeiten, die für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten über die in Artikel 2 genannten Steuern voraussichtlich erheblich sind.

(2) …

(3) Diese Richtlinie berührt nicht die Anwendung der Vorschriften über die Rechtshilfe in Strafsachen in den Mitgliedstaaten. Sie berührt auch nicht die Erfüllung der Verpflichtungen, die den Mitgliedstaaten in Bezug auf eine umfassendere Zusammenarbeit der Verwaltungen aus anderen Rechtsinstrumenten, einschließlich bi- oder multilateralen Abkommen, erwachsen.“

11.Art. 5 der Richtlinie 2011/16 sieht das Verfahren für den Informationsaustausch auf Ersuchen vor:

„Auf Ersuchen der ersuchenden Behörde übermittelt die ersuchte Behörde der ersuchenden Behörde alle in Artikel 1 Absatz 1 genannten Informationen, die sie besitzt oder die sie im Anschluss an behördliche Ermittlungen erhalten hat.“

12.Art. 6 der Richtlinie 2011/16 regelt die Durchführung des Informationsersuchens:

„(1) Die ersuchte Behörde trifft Vorkehrungen dafür, dass alle behördlichen Ermittlungen durchgeführt werden, die zur Beschaffung der in Artikel 5 genannten Informationen notwendig sind.

(2) …

(3) Zur Beschaffung der erbetenen Informationen oder zur Durchführung der erbetenen behördlichen Ermittlungen geht die ersuchte Behörde nach denselben Verfahren vor, die sie anwenden würde, wenn sie von sich aus oder auf Ersuchen einer anderen Behörde des eigenen Mitgliedstaats handeln würde.

(4) …“

13. Schließlich stellt Art. 25 der Richtlinie 2011/16 klar, dass auch bei der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung der Datenschutz gilt.

B. Völkerrecht

1. Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen

14. Die Mitgliedstaaten des Europarats und die Mitgliedsländer der OECD unterzeichneten am 25. Januar 1988 das Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen.(8) Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben das Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen ratifiziert.

15. Für alle Arten der Amtshilfe gilt Art. 23 des Übereinkommens über Rechtsbehelfe:

„(1) Ein Rechtsbehelf gegen die vom ersuchten Staat nach diesem Übereinkommen ergriffenen Maßnahmen ist nur bei den zuständigen Behörden dieses Staats einzulegen.

(2) …

(3) Sobald eine endgültige Entscheidung zu dem Rechtsbehelf ergangen ist, unterrichtet der … ersuchte Staat den anderen Staat über die Entscheidung und ihre Auswirkungen auf das Amtshilfeersuchen.“

2. OECD-Musterabkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung

16. Der Rat der OECD nahm am 30. Juli 1963 eine Empfehlung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (OECD-Musterabkommen)(9) an.

17. Art. 26 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens betrifft den Informationsaustausch und sieht vor:

„(1) Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten tauschen die Informationen aus, die zur Durchführung dieses Abkommens oder zur Verwaltung oder Anwendung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern jeder Art und Bezeichnung, die für Rechnung der Vertragsstaaten oder ihrer Gebietskörperschaften erhoben werden, voraussichtlich erheblich sind, soweit die diesem Recht entsprechende Besteuerung nicht dem Abkommen widerspricht. …“

3. Steuerabkommen zwischen Luxemburg und Spanien

18. Seit 1988 gilt das am 3. Juni 1986 in Madrid unterzeichnete Steuerabkommen zwischen Luxemburg und dem Königreich Spanien vom 3. Juni 1986.(10) Art. 27 Abs. 1 des Steuerabkommens regelt den Austausch von Informationen und stimmt mit Art. 26 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens überein.

C. Luxemburgisches Recht

1. Gesetz vom 29. März 2013

19. Luxemburg setzte die Richtlinie 2011/16 mit dem Gesetz vom 29. März 2013(11) um.

20. Art. 6 des Gesetzes vom 29. März 2013 lautet:

„Auf Ersuchen der ersuchenden Behörde übermittelt die ersuchte luxemburgische Behörde ihr alle für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts des ersuchenden Mitgliedstaats über die in Art. 1 genannten Steuern voraussichtlich erheblichen Informationen, die sie besitzt oder die sie im Anschluss an behördliche Ermittlungen erhalten hat.“

2. Gesetz vom 25. November 2014

21. Darauf folgte das Gesetz vom 25. November 2014 über das auf den Informationsaustausch auf Ersuchen in Steuerangelegenheiten anzuwendende Verfahren(12). In dessen Art. 1 ist Folgendes vorgesehen:

„(1) Dieses Gesetz findet ab seinem Inkrafttreten auf Ersuchen um Austausch von Informationen in Steuerangelegenheiten Anwendung, die von der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates auf folgender...

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2 cases
  • Opinion of Advocate General Kokott delivered on 3 June 2021.
    • European Union
    • Court of Justice (European Union)
    • 3 June 2021
    ...les affaires jointes État luxembourgeois (Droit de recours contre une demande d’information en matière fiscale) (C‑245/19 et C‑246/19, EU:C:2020:516, point 138), ainsi que, dans le même sens, Tribunal fédéral, arrêt du 12 septembre 2016 (2C_276/2016), point 20 Voir, à ce sujet, nos conclusi......
  • Opinion of Advocate General Ćapeta delivered on 1 December 2022.
    • European Union
    • Court of Justice (European Union)
    • 1 December 2022
    ...les affaires jointes État luxembourgeois (Droit de recours contre une demande d’information en matière fiscale) (C‑245/19 et C‑246/19, EU:C:2020:516, point 102), qui a considéré qu’un recours incident greffé sur une action en responsabilité engagée ultérieurement contre l’État n’est pas un ......