Irish Ferries Ltd v National Transport Authority.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:664
Docket NumberC-570/19
Date02 September 2021
Celex Number62019CJ0570
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

2. September 2021(*)

Inhaltsverzeichnis


Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung (EU) Nr. 1177/2010

Verordnung (EG) Nr. 261/2004

Irisches Recht

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

Zu den Vorlagefragen

Zur Frage 1

Zur Frage 3

Zu den Fragen 2, 4 und 5a

Zur Frage 5b

Zur Frage 6

Zur Frage 7

Zur Frage 8

Zur Frage 9

Zur Frage 10

Kosten


„Vorlage zur Vorabentscheidung – Seeverkehr – Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr – Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 – Art. 18 und 19, Art. 20 Abs. 4, Art. 24 und 25 – Annullierung von Personenverkehrsdiensten – Verspätete Lieferung eines Schiffes an den Beförderer – Ankündigung vor dem ursprünglich vorgesehenen Abfahrtstermin – Folgen – Anspruch auf anderweitige Beförderung – Modalitäten – Übernahme der zusätzlichen Kosten – Anspruch auf Entschädigung – Berechnung – Begriff des Fahrpreises – Für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 1177/2010 zuständige nationale Stelle – Zuständigkeit – Begriff der Beschwerde – Gültigkeitsprüfung – Art. 16, 17, 20 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung“

In der Rechtssache C‑570/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 22. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juli 2019, in dem Verfahren

Irish Ferries Ltd

gegen

National Transport Authority

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter N. Piçarra, D. Šváby (Berichterstatter) und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Irish Ferries Ltd, vertreten durch V. Power, T. O’Donnell, B. McGrath und E. Roberts, Solicitors, sowie C. Donnelly und P. Sreenan, SC,

– der National Transport Authority, vertreten durch M. Collins und D. McGrath, SC, S. Murray, BL, sowie M. Doyle, K. Quigley und E. O’Hanrahan, Solicitors,

– Irlands, vertreten durch M. Browne, G. Hodge, J. Quaney und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von P. McGarry, SC, und M. Finan, BL,

– des Europäischen Parlaments, vertreten durch L. G. Knudsen und A. Tamás als Bevollmächtigte,

– des Rates der Europäischen Union, vertreten durch O. Segnana und R. Meyer als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Yerrell, L. Armati und S. L. Kalėda als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. März 2021

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 und 19, des Art. 20 Abs. 4 sowie der Art. 24 und 25 der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. 2010, L 334, S. 1) und die Gültigkeit dieser Verordnung.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Irish Ferries Ltd und der National Transport Authority (nationale Transportbehörde, Irland) (im Folgenden: irische Transportbehörde) über die Voraussetzungen, unter denen den von einer Annullierung von Überfahrten zwischen Dublin (Irland) und Cherbourg (Frankreich) betroffenen Fahrgästen eine Entschädigung zu gewähren ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung (EU) Nr. 1177/2010

3 Die Erwägungsgründe 1, 2, 3, 12 bis 15, 17 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 lauten:

„(1) Die Maßnahmen der Union im Bereich des See- und Binnenschiffsverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes, dem Standard anderer Verkehrsträger vergleichbares Schutzniveau für die Fahrgäste sicherzustellen. Ferner sollte den allgemeinen Erfordernissen des Verbraucherschutzes in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

(2) Da die Fahrgäste im See- und Binnenschiffsverkehr im Beförderungsvertrag die schwächere Partei sind, sollte allen Fahrgästen ein Mindestmaß an Schutz gewährt werden. Die Beförderer sollten in keiner Weise davon abgehalten werden, Vertragsbedingungen anzubieten, die für den Fahrgast günstiger sind als die in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen. Genauso wenig wird mit dieser Verordnung das Ziel verfolgt, in gewerbliche Beziehungen zwischen Unternehmen (‚business-to-business‘), die den Gütertransport betreffen, einzugreifen. Insbesondere sollten Vereinbarungen zwischen einem Kraftverkehrsunternehmer und einem Beförderer nicht als Beförderungsverträge im Sinne dieser Verordnung betrachtet werden, und sie sollten deshalb dem Kraftverkehrsunternehmer oder seinen Angestellten im Fall von Verspätungen keinen Anspruch auf Entschädigung nach dieser Verordnung einräumen.

(3) Der Schutz der Fahrgäste sollte sich nicht nur auf Personenverkehrsdienste zwischen Häfen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten erstrecken, sondern – unter Berücksichtigung des Risikos der Wettbewerbsverzerrung auf dem Personenbeförderungsmarkt – auch auf Personenverkehrsdienste zwischen solchen Häfen und Häfen außerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten. Der Begriff ‚Beförderer aus der Union‘ sollte daher für die Zwecke dieser Verordnung so weit wie möglich ausgelegt werden, ohne dass dadurch jedoch andere Rechtsakte der Union berührt werden, etwa der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrags auf den Seeverkehr [(ABl. 1986, L 378, S. 4)] und der Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 7. Dezember 1992 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage) [(ABl.1992, L 364, S. 7)].

(12) Die Fahrgäste sollten bei Annullierung und bei Verspätung eines Personenverkehrsdienstes oder einer Kreuzfahrt angemessen unterrichtet werden. Diese Unterrichtung sollte es den Fahrgästen erleichtern, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen und erforderlichenfalls Informationen über alternative Verbindungen zu erhalten.

(13) Die Unannehmlichkeiten, die den Fahrgästen durch Annullierung oder große Verspätung von Verkehrsdiensten entstehen, sollten verringert werden. Zu diesem Zweck sollten die Fahrgäste angemessen betreut werden und die Möglichkeit haben, ihre Reise zu stornieren und sich den Fahrpreis erstatten zu lassen oder eine anderweitige Beförderung zu annehmbaren Bedingungen zu erhalten. Eine angemessene Unterbringung der Fahrgäste braucht nicht unbedingt in Hotelzimmern bestehen, sondern kann auch jede andere geeignete Unterbringung sein, die verfügbar ist, wobei insbesondere die Umstände jedes Einzelfalls, die Fahrzeuge der Fahrgäste und die Merkmale des Schiffes entscheidend sind. Insofern und in hinreichend begründeten Fällen außergewöhnlicher und dringender Umstände sollten die Beförderer in der Lage sein, entsprechende verfügbare Einrichtungen in Zusammenarbeit mit den Zivilbehörden in vollem Umfang zu nutzen.

(14) Die Beförderer sollten bei Annullierung oder Verspätung eines Personenverkehrsdienstes Ausgleichszahlungen an die Fahrgäste in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Fahrpreises gewährleisten, ausgenommen eine Annullierung oder Verspätung aufgrund von Wetterbedingungen, die den sicheren Betrieb des Schiffes beeinträchtigen, oder von außergewöhnlichen Umständen, die auch dann nicht hätten vermieden werden können, wenn alle zumutbare Maßnahmen getroffen worden wären.

(15) Die Beförderer sollten entsprechend den allgemein anerkannten Grundsätzen die Beweislast dafür tragen, dass die Annullierung oder Verspätung durch solche Wetterbedingungen oder außergewöhnliche Umstände verursacht wurde.

(17) Zu den außergewöhnlichen Umständen sollten unter anderem Naturkatastrophen, wie Brände und Erdbeben, Terroranschläge, Kriege und bewaffnete militärische und zivile Konflikte, Aufstände, militärische oder widerrechtliche Beschlagnahme, Arbeitskämpfe, die Verbringung von Kranken, Verletzten oder Toten an Land, Such- und Rettungseinsätze auf See oder Binnenwasserstraßen, für den Schutz der Umwelt erforderliche Maßnahmen, Entscheidungen von Verkehrsleitungsorganen oder Hafenbehörden und Entscheidungen der zuständigen Behörden bezüglich der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie bei dringenden Verkehrsbedürfnissen zählen.

(19) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits entschieden, dass Probleme, die zu Annullierungen oder Verspätungen führen, nur insoweit unter den Begriff der ‚außergewöhnlichen Umstände‘ fallen können, als sie auf Vorkommnisse zurückgehen, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Beförderers sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass Wetterbedingungen, die eine Gefahr für den sicheren Betrieb des Schiffes darstellen, tatsächlich nicht von dem Beförderer zu beherrschen sind.“

4 Art. 2 („Geltungsbereich“) der Verordnung Nr. 1177/2010 bestimmt:

„(1) Diese Verordnung gilt für Fahrgäste, die

a) mit Personenverkehrsdiensten reisen, bei denen der Einschiffungshafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt;

b) mit Personenverkehrsdiensten reisen, bei denen der Einschiffungshafen nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt und der Ausschiffungshafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt, sofern der Verkehrsdienst von einem Beförderer aus der Union gemäß der Definition des Artikels 3 Buchstabe e erbracht wird;

c) an einer Kreuzfahrt teilnehmen, bei der der Einschiffungshafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt. Für diese Fahrgäste gelten jedoch nicht Artikel 16 Absatz 2, die Artikel 18 und 19 sowie Artikel 20 Absätze 1 und 4.

(2) Diese Verordnung gilt nicht für Fahrgäste, die

a) mit Schiffen reisen, die für die Beförderung von maximal zwölf Fahrgästen zugelassen sind,

b) mit Schiffen reisen, deren für den Schiffsbetrieb...

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