Opinion of Advocate General Campos Sánchez-Bordona delivered on 15 April 2021.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:295
Date15 April 2021
Celex Number62019CC0927
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 15. April 2021(1)

Rechtssache C927/19

UAB Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras

Beteiligte:

UAB Ecoservice Klaipėda,

UAB Klaipėzwei Busparkas,

UAB Parsekas,

UAB Klaipėdos transportas

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas [Oberster Gerichtshof, Litauen])

„Vorabentscheidungsverfahren – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 21, 50 und 55 – Vertraulichkeit – Zuständigkeit des öffentlichen Auftraggebers – Richtlinie (EU) 2016/943 – Anwendbarkeit – Richtlinie 89/665/EWG – Art. 1 und 2 – Wirkungen des Rechtsbehelfs gegen die Vertraulichkeitserklärung – Begründung – Gegen den öffentlichen Auftraggeber gerichteter eigenständiger Rechtsbehelf – Gerichtliche Überprüfung – Umfang der richterlichen Befugnisse“






1. Die Unterlagen, die im Rahmen eines Vergabeverfahrens bei den öffentlichen Auftraggebern eingereicht werden, können Geschäftsgeheimnisse und andere vertrauliche Daten enthalten, deren Offenlegung für ihre Inhaber nachteilig wäre.

2. Insoweit konkurrieren zwei gegensätzliche Interessen:

– zum einen die Interessen des Bieters, der mit seiner Teilnahme an einem Verfahren zur öffentlichen Auftragsvergabe nicht darauf verzichtet, vertrauliche Informationen so zu schützen, dass Dritte keinen unlauteren Vorteil aus fremden unternehmerischen Anstrengungen ziehen können;

– zum anderen die Interessen jener Bieter, die in Ausübung ihres Rechts, die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers anzufechten, für die Begründung ihres Rechtsbehelfs Zugang zu bestimmten Informationen erhalten wollen, die vom erfolgreichen Bieter übermittelt wurden und von ihm als vertraulich angesehen werden.

3. Dieser Interessenkonflikt liegt dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zugrunde, in dem das vorlegende Gericht um Auslegung der Richtlinien 89/665/EWG(2), 2014/24/EU(3) und (EU) 2016/943(4) ersucht.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

1. Richtlinie 2014/24

4. Art. 18 („Grundsätze der Auftragsvergabe“) sieht vor:

„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.

…“

5. Art. 21 („Vertraulichkeit“) bestimmt:

„(1) Sofern in dieser Richtlinie oder im nationalen Recht, dem der öffentliche Auftraggeber unterliegt, insbesondere in den Rechtsvorschriften betreffend den Zugang zu Informationen, nichts anderes vorgesehen ist, und unbeschadet der Verpflichtungen zur Bekanntmachung vergebener Aufträge und der Unterrichtung der Bewerber und Bieter gemäß den Artikeln 50 und 55 gibt ein öffentlicher Auftraggeber keine ihm von den Wirtschaftsteilnehmern übermittelten und von diesen als vertraulich eingestuften Informationen weiter, wozu insbesondere technische und handelsbezogene Geschäftsgeheimnisse sowie die vertraulichen Aspekte der Angebote selbst gehören.

(2) Öffentliche Auftraggeber können Wirtschaftsteilnehmern Anforderungen vorschreiben, die den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen bezwecken, die diese Auftraggeber im Rahmen des Vergabeverfahrens zur Verfügung stellen.

6. In Art. 50 („Vergabebekanntmachung“) heißt es:

„… Bestimmte Angaben über die Auftragsvergabe oder den Abschluss der Rahmenvereinbarungen müssen jedoch nicht veröffentlicht werden, wenn die Offenlegung dieser Angaben den Gesetzesvollzug behindern, dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, die berechtigten geschäftlichen Interessen eines besonderen öffentlichen oder privaten Wirtschaftsteilnehmers, schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen Wirtschaftsteilnehmern beeinträchtigen würde“.

7. Art. 55 („Unterrichtung der Bewerber und Bieter“) Abs. 3 lautet:

„Die öffentlichen Auftraggeber können beschließen, bestimmte in den Absätzen 1 und 2 genannte Angaben über die Zuschlagserteilung, den Abschluss von Rahmenvereinbarungen oder die Zulassung zu einem dynamischen Beschaffungssystem nicht mitzuteilen, wenn die Offenlegung dieser Angaben den Gesetzesvollzug behindern oder sonst dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, die berechtigten geschäftlichen Interessen eines bestimmten öffentlichen oder privaten Wirtschaftsteilnehmers schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen Wirtschaftsteilnehmern beeinträchtigen würde.“

2. Richtlinie 89/665

8. In Art. 1 („Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren“)(5) heißt es:

„(1) Diese Richtlinie gilt für Aufträge im Sinne der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, sofern diese Aufträge nicht gemäß den Artikeln 7, 8, 9, 10, 11, 12, 15, 16, 17 und 37 jener Richtlinie ausgeschlossen sind.

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU beziehungsweise der Richtlinie 2014/23/EU fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f dieser Richtlinie auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft werden können.

(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

(4) Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass die Person, die ein Nachprüfungsverfahren anzustrengen beabsichtigt, den öffentlichen Auftraggeber über den behaupteten Verstoß und die beabsichtigte Nachprüfung unterrichtet, sofern die Stillhaltefrist nach Artikel 2a Absatz 2 oder andere Fristen für die Beantragung einer Nachprüfung nach Artikel 2c hiervon unberührt bleiben.

(5) Die Mitgliedstaaten können auch verlangen, dass die betreffende Person zunächst bei dem öffentlichen Auftraggeber eine Nachprüfung beantragt. In diesem Fall tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Einreichung eines solchen Antrags einen unmittelbaren Suspensiveffekt auf den Vertragsschluss auslöst.

…“

9. Art. 2 („Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren“) Abs. 1 legt fest:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

b) die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

…“

3. Richtlinie 2016/943

10. Im 18. Erwägungsgrund heißt es:

„… Insbesondere sollte diese Richtlinie die Behörden nicht von ihrer Pflicht zur Geheimhaltung von Informationen, die ihnen von Inhabern von Geschäftsgeheimnissen übermittelt werden, entbinden, und zwar unabhängig davon, ob diese Pflichten in Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten festgelegt sind. Diese Geheimhaltungspflicht umfasst unter anderem die Pflichten im Zusammenhang mit Informationen, die öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge übermittelt werden, wie sie beispielsweise in der … Richtlinie 2014/24/EU … festgelegt sind“.

11. Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) Abs. 2 sieht vor:

„Diese Richtlinie berührt nicht

b) die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen die Inhaber von Geschäftsgeheimnissen verpflichtet sind, aus Gründen des öffentlichen Interesses Informationen, auch Geschäftsgeheimnisse, gegenüber der Öffentlichkeit oder den Verwaltungsbehörden oder den Gerichten offenzulegen, damit diese ihre Aufgaben wahrnehmen können,

c) die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen es den Organen und Einrichtungen der Union oder den nationalen Behörden vorgeschrieben oder gestattet ist, von Unternehmen vorgelegte Informationen offenzulegen, die diese Organe, Einrichtungen oder Behörden in Einhaltung der Pflichten und gemäß den Rechten, die im Unionsrecht oder im nationalen Recht niedergelegt sind, besitzen.

…“

B. Litauisches Recht

1. Lietuvos Respublikos viešųjų pirkimų įstatymas (Gesetz der Republik Litauen über das öffentliche Auftragswesen, im Folgenden: Vergabegesetz)

12. Art. 20 sieht vor:

„1. Es ist dem öffentlichen Auftraggeber, dem Vergabeausschuss, dessen Mitgliedern und Sachverständigen sowie allen sonstigen Personen untersagt, Informationen, die von den Bietern als vertraulich eingereicht wurden, an Dritte weiterzugeben.

2. Das Angebot des Bieters bzw. sein Antrag auf Teilnahme darf nicht in seiner Gesamtheit als vertraulich eingestuft werden; der Bieter kann jedoch angeben, dass bestimmte in seinem Angebot enthaltene Informationen vertraulich sind. Zu den vertraulichen Informationen können u. a. Geschäftsgeheimnisse (betreffend die Herstellung) und vertrauliche Teile des Angebots gehören. Informationen dürfen nicht als vertraulich eingestuft werden,

1) wenn dies gegen gesetzliche Vorschriften, die eine Pflicht zur Offenlegung oder ein Recht auf Auskunft enthalten, oder gegen Durchführungsverordnungen zu diesen gesetzlichen Vorschriften verstoßen würde;

2) wenn dies einen Verstoß gegen die in Art. 33 und 58 dieses Gesetzes festgelegten Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der abgeschlossenen Verträge, der Unterrichtung der Bewerber und Bieter, einschließlich der Unterrichtung über den Preis der in der Ausschreibung angegebenen Lieferungen, Dienst- oder Werkleistungen (jedoch ohne die wesentlichen Preisbildungselemente), darstellen würde;

3) wenn diese Informationen in Dokumenten vorgelegt worden sind, die bescheinigen, dass beim Bieter keine Ausschlussgründe vorliegen, dass er die Anforderungen an die...

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