SIA „Sātiņi-S” v Dabas aizsardzības pārvalde.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:57
Docket NumberC-238/20
Date27 January 2022
Celex Number62020CJ0238
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

27. Januar 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 17 – Eigentumsrecht – Richtlinie 2009/147/EG – Entschädigung für den an der Aquakultur durch in einem Natura-2000-Gebiet geschützte wildlebende Vogelarten verursachten Schaden – Schadensersatz, der niedriger ist als der tatsächlich erlittene Schaden – Art. 107 Abs. 1 AEUV – Staatliche Beihilfen – Begriff ,Vorteil‘ – Voraussetzungen – Verordnung (EU) Nr. 717/2014 – De-minimis-Vorschriften“

In der Rechtssache C‑238/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Augstākā tiesa (Senāts) (Oberstes Gericht, Lettland) mit Entscheidung vom 4. Juni 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Juni 2020, in dem Verfahren

„Sātiņi-S“ SIA,

Beteiligte:

Dabas aizsardzības pārvalde,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Zweiten Kammer A. Prechal in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter J. Passer (Berichterstatter) und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi und des Richters N. Wahl,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2021,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der „Sātiņi-S“ SIA, vertreten durch A. Grigorjevs,

– der lettischen Regierung, ursprünglich vertreten durch K. Pommere, V. Soņeca und V. Kalniņa, dann durch K. Pommere als Bevollmächtigte,

– von Irland, vertreten durch M. Browne, J. Quaney, M. Lane und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von S. Kingston, SC, und G. Gilmore, BL,

– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. de Ree als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, ursprünglich vertreten durch V. Bottka, C. Hermes und I. Naglis, dann durch V. Bottka und C. Hermes als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. September 2021

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), der Art. 107 und 108 AEUV sowie von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 717/2014 der Kommission vom 27. Juni 2014 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] auf De-minimis-Beihilfen im Fischerei- und Aquakultursektor (ABl. 2014, L 190, S. 45).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Sātiņi-S“ SIA und der Dabas aizsardzības pārvalde (Umweltschutzbehörde, Lettland) wegen deren Weigerung, Sātiņi-S eine Entschädigung für an ihrer Aquakultur durch in einem Natura-2000-Gebiet geschützte wildlebende Vogelarten verursachte Schäden zu gewähren, weil sie bereits den Höchstbetrag der Beträge erhalten habe, die ihr im Hinblick auf die De-minimis-Vorschriften im Bereich der staatlichen Beihilfen gewährt werden könnten.

Rechtsrahmen

Unionsrecht

Richtlinie 92/43/EWG

3 Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7, im Folgenden: Habitatrichtlinie) sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.“

Richtlinie 2009/147/EG

4 Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7, im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie) lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, in den Absätzen 1 und 2 genannten Schutzgebieten zu vermeiden. Die Mitgliedstaaten bemühen sich ferner, auch außerhalb dieser Schutzgebiete die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume zu vermeiden.“

5 Art. 5 dieser Richtlinie sieht vor:

„Unbeschadet der Artikel 7 und 9 erlassen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten, insbesondere das Verbot

a) des absichtlichen Tötens oder Fangens, ungeachtet der angewandten Methode;

b) der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und der Entfernung von Nestern;

c) des Sammelns der Eier in der Natur und des Besitzes dieser Eier, auch in leerem Zustand;

d) ihres absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sofern sich diese Störung auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirkt;

e) des Haltens von Vögeln der Arten, die nicht bejagt oder gefangen werden dürfen.“

Verordnung Nr. 717/2014

6 Der 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 717/2014 sieht vor:

„Aus Gründen der Transparenz, Gleichbehandlung und wirksamen Überwachung sollte diese Verordnung nur für De-minimis-Beihilfen gelten, deren Bruttosubventionsäquivalent im Voraus genau berechnet werden kann, ohne dass eine Risikobewertung erforderlich ist (‚transparente Beihilfen‘). Eine solche präzise Berechnung ist beispielsweise bei Zuschüssen, Zinszuschüssen und begrenzten Steuerbefreiungen oder bei sonstigen Beihilfeformen möglich, bei denen eine Obergrenze gewährleistet, dass der einschlägige Höchstbetrag nicht überschritten wird. Ist eine Obergrenze vorgesehen, so muss der Mitgliedstaat, solange der genaue Beihilfebetrag nicht bekannt ist, davon ausgehen, dass die Beihilfe der Obergrenze entspricht, um zu gewährleisten, dass mehrere Beihilfemaßnahmen zusammengenommen den Höchstbetrag nach dieser Verordnung nicht überschreiten und die Kumulierungsvorschriften eingehalten werden.“

7 Art. 1 („Geltungsbereich“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1) Diese Verordnung gilt für Beihilfen an Unternehmen des Fischerei- und Aquakultursektors, mit folgenden Ausnahmen:

a) Beihilfen, deren Höhe sich nach dem Preis oder der Menge erworbener oder vermarkteter Erzeugnisse richtet;

b) Beihilfen für exportbezogene Tätigkeiten, die auf Mitgliedstaaten oder Drittländer ausgerichtet sind, d. h. Beihilfen, die unmittelbar mit den ausgeführten Mengen, mit der Errichtung und dem Betrieb eines Vertriebsnetzes oder mit anderen laufenden exportbezogenen Ausgaben in Zusammenhang stehen;

c) Beihilfen, die davon abhängig sind, dass heimische Waren Vorrang vor eingeführten Waren erhalten;

d) Beihilfen für den Kauf von Fischereifahrzeugen;

e) Beihilfen für die Modernisierung oder den Austausch von Haupt- oder Hilfsmotoren von Fischereifahrzeugen;

f) Beihilfen für Vorhaben, die die Fangkapazität eines Schiffes erhöhen, oder für Ausrüstung zur verbesserten Lokalisierung von Beständen;

g) Beihilfen für den Bau neuer Fischereifahrzeuge oder die Einfuhr von Fischereifahrzeugen;

h) Beihilfen für die vorübergehende oder endgültige Einstellung von Fangtätigkeiten, falls in der Verordnung (EU) Nr. 508/2014 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 2328/2003, (EG) Nr. 861/2006, (EG) Nr. 1198/2006 und (EG) Nr. 791/2007 des Rates und der Verordnung (EU) Nr. 1255/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2014, L 149, S. 1)] nicht ausdrücklich vorgesehen;

i) Beihilfen für die Versuchsfischerei;

j) Beihilfen für die Übertragung von Eigentum an einem Unternehmen;

k) Beihilfen für direkte Besatzmaßnahmen, es sei denn, ein EU‑Rechtsakt sieht solchen Besatz ausdrücklich als Erhaltungsmaßnahme vor oder es handelt sich um Versuchsbesatzmaßnahmen.

(2) Wenn ein Unternehmen sowohl im Fischerei- und Aquakultursektor als auch in einem oder mehreren der unter die Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 [der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 (AEUV) auf De-minimis-Beihilfen (ABl. 2013, L 352, S. 1)] fallenden Bereiche tätig ist oder andere unter die genannte Verordnung fallende Tätigkeiten ausübt, so gilt die genannte Verordnung für Beihilfen, die für letztere Bereiche oder Tätigkeiten gewährt werden, sofern der betreffende Mitgliedstaat durch geeignete Mittel wie die Trennung der Tätigkeiten oder die Unterscheidung der Kosten sicherstellt, dass die im Einklang mit der genannten Verordnung gewährten De-minimis-Beihilfen nicht den Tätigkeiten im Fischerei- und Aquakultursektor zugutekommen.

(3) Ist ein Unternehmen sowohl im Fischerei- und Aquakultursektor als auch in der Primärerzeugung landwirtschaftlicher Erzeugnisse tätig, die in den Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1408/2013 [der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 (AEUV) auf De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor (ABl. 2013, L 352, S. 9)] fällt, so gelten die Bestimmungen dieser Verordnung für Beihilfen im ersteren Sektor, sofern der betroffene Mitgliedstaat durch geeignete Mittel wie die Trennung der Tätigkeiten oder die Unterscheidung der Kosten sicherstellt, dass die im Einklang mit dieser Verordnung gewährten De-minimis-Beihilfen nicht der Primärerzeugung landwirtschaftlicher Erzeugnisse zugutekommen.“

8 Art. 3 („De-minimis-Beihilfen“) dieser Verordnung sieht in den Abs. 1 bis 3 vor:

„(1) Beihilfemaßnahmen, die die Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllen, werden als Maßnahmen angesehen, die nicht alle Tatbestandsmerkmale des Artikels 107 Absatz 1 AEUV erfüllen, und sind daher von der Anmeldepflicht nach Artikel 108 Absatz 3 AEUV ausgenommen.

(2) Der Gesamtbetrag der De-minimis-Beihilfen, die einem einzigen Unternehmen des Fischerei- und Aquakultursektors von einem Mitgliedstaat gewährt werden, darf in drei Steuerjahren 30 000 [Euro] nicht übersteigen.

(3) Die Gesamtsumme der den im Fischerei- und...

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