Diskrimineringsombudsmannen v Braathens Regional Aviation AB.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:269
Date15 April 2021
Docket NumberC-30/19
Celex Number62019CJ0030
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

15. April 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft – Richtlinie 2000/43/EG – Art. 7 – Rechtsschutz – Art. 15 – Sanktionen – Klage auf Schadensersatz wegen Diskriminierung – Anerkenntnis der Schadensersatzforderung durch den Beklagten, ohne dass er das Vorliegen der behaupteten Diskriminierung einräumt – Zusammenhang zwischen dem gezahlten Schadensersatz und der behaupteten Diskriminierung – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Anspruch auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz – Nationale Verfahrensvorschriften, die das mit der Klage befasste Gericht daran hindern, trotz ausdrücklichen Antrags des Klägers über das Vorliegen der behaupteten Diskriminierung zu entscheiden“

In der Rechtssache C‑30/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Januar 2019, in dem Verfahren

Diskrimineringsombudsmannen

gegen

Braathens Regional Aviation AB

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan und N. Piçarra, des Richters T. von Danwitz (Berichterstatter), der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe, der Richter C. Lycourgos und P. G. Xuereb, der Richterin L. S. Rossi und des Richters I. Jarukaitis,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– des Diskrimineringsombudsman, vertreten durch M. Mörk, T. A. Qureshi und A. Rosenmüller Nordlander,

– der Braathens Regional Aviation AB, vertreten durch J. Josjö und C. Gullikson Dock, advokater, sowie durch J. Hettne,

– der schwedischen Regierung, zunächst vertreten durch H. Eklinder, C. Meyer-Seitz, H. Shev und J. Lundberg, dann durch H. Eklinder, C. Meyer-Seitz und H. Shev als Bevollmächtigte,

– der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Simonsson, E. Ljung Rasmussen, G. Tolstoy und C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Mai 2020

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 7 und 15 der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. 2000, L 180, S. 22) in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Diskrimineringsombudsman (Bürgerbeauftragter für Diskriminierungangelegenheiten, Schweden), im Namen eines Fluggasts, der sich als Opfer einer Diskriminierung sieht, und der Braathens Regional Aviation AB (im Folgenden: Braathens), einer schwedischen Fluggesellschaft, die den Schadensersatzanspruch dieses Fluggasts anerkannt hat, ohne jedoch das Vorliegen der behaupteten Diskriminierung einzuräumen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 In den Erwägungsgründen 19 und 26 der Richtlinie 2000/43 heißt es:

„(19) Opfer von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft sollten über einen angemessenen Rechtsschutz verfügen. Um einen effektiveren Schutz zu gewährleisten, sollte auch die Möglichkeit bestehen, dass sich Verbände oder andere juristische Personen unbeschadet der nationalen Verfahrensordnung bezüglich der Vertretung und Verteidigung vor Gericht bei einem entsprechenden Beschluss der Mitgliedstaaten im Namen eines Opfers oder zu seiner Unterstützung an einem Verfahren beteiligen.

(26) Die Mitgliedstaaten sollten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für den Fall vorsehen, dass gegen die aus der Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen verstoßen wird.“

4 Art. 1 („Zweck“) dieser Richtlinie 2000/43 lautet:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

5 Art. 2 („Der Begriff ‚Diskriminierung‘“) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft geben darf.“

6 Art. 3 („Geltungsbereich“) Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie sieht vor:

„Im Rahmen der auf die [Europäische Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf:

h) den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.“

7 In Art. 7 („Rechtsschutz“) der Richtlinie 2000/43 heißt es:

„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche aus dieser Richtlinie auf dem Gerichts- und/oder Verwaltungsweg sowie, wenn die Mitgliedstaaten es für angezeigt halten, in Schlichtungsverfahren geltend machen können, selbst wenn das Verhältnis, während dessen die Diskriminierung vorgekommen sein soll, bereits beendet ist.

(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die gemäß den in ihrem einzelstaatlichen Recht festgelegten Kriterien ein rechtmäßiges Interesse daran haben, für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu sorgen, sich entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung und mit deren Einwilligung an den in dieser Richtlinie zur Durchsetzung der Ansprüche vorgesehenen Gerichts- und/oder Verwaltungsverfahren beteiligen können.

…“

8 Art. 8 („Beweislast“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit ihrem nationalen Gerichtswesen die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass immer dann, wenn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.

(3) Absatz 1 gilt nicht für Strafverfahren.

…“

9 Art. 15 („Sanktionen“) der Richtlinie 2000/43 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um deren Durchsetzung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. …“

Schwedisches Recht

10 Nach Kapitel 1 § 4 Abs. 1 des Diskrimineringslag (2008:567) (Diskriminierungsgesetz [2008:567]) liegt eine Diskriminierung u. a. dann vor, wenn eine Person dadurch benachteiligt wird, dass sie ungünstiger behandelt wird als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation behandelt wird oder behandelt würde, falls die Ungleichbehandlung im Zusammenhang mit dem Geschlecht, einer transsexuellen Identität oder einem transsexuellen Bekenntnis, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder dem Glauben, einer Behinderung, der sexuellen Orientierung oder dem Alter steht.

11 Nach Kapitel 2 § 12 dieses Gesetzes ist eine Diskriminierung u. a. Personen verboten, die außerhalb des Privat- und Familienlebens der Allgemeinheit Waren, Dienstleistungen oder Wohnungen anbieten.

12 Kapitel 5 dieses Gesetzes sieht die Sanktionen vor, die gegen jeden, der eine Diskriminierung begeht, verhängt werden können, nämlich die Entschädigung des Opfers durch die Zahlung eines „Schadensersatzes wegen Diskriminierung“ sowie die Anpassung und die Aufhebung von Verträgen und anderen Rechtsgeschäften.

13 Aus Kapitel 6 § 1 Abs. 2 Diskrimineringslag geht hervor, dass Streitigkeiten betreffend die Anwendung von Kapitel 2 § 12 dieses Gesetzes von den ordentlichen Gerichten gemäß den Bestimmungen des Rättegångsbalk (Gerichtsprozessordnung) über Zivilverfahren – in denen eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits zulässig ist – geprüft werden.

14 Nach Kapitel 13 § 1 Rättegångsbalk kann der Kläger unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen eine Leistungsklage erheben, um die Verurteilung des Beklagten zur Erfüllung einer Handlungspflicht, etwa der zur Zahlung eines Geldbetrags an den Kläger, zu erwirken.

15 In Kapitel 13 § 2 Rättegångsbalk ist die Feststellungsklage geregelt. Nach § 2 Abs. 1 kann eine solche Klage, die auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines bestimmten Rechtsverhältnisses gerichtet ist, vom Gericht geprüft werden, wenn in Bezug auf dieses Rechtsverhältnis eine Unsicherheit mit nachteiligen Auswirkungen für den Kläger besteht.

16 Kapitel 42 § 7 Rättegångsbalk sieht vor, dass sich der Beklagte in der mündlichen Verhandlung unverzüglich gegen die Klage...

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