Proceedings brought by A.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:918
Date24 November 2022
Docket NumberC-296/21
Celex Number62021CJ0296
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

24. November 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Feuerwaffen – Richtlinie 91/477/EWG – Anhang I Abschnitt III – Deaktivierungsstandards und ‑techniken – Durchführungsverordnung (EU) 2015/2403 – Überprüfung und Bescheinigung der Deaktivierung von Feuerwaffen – Art. 3 – Überprüfende Stelle, die von einer nationalen Behörde zugelassen ist – Ausstellung einer Deaktivierungsbescheinigung – Stelle, die nicht in der von der Europäischen Kommission veröffentlichten Liste aufgeführt ist – Verbringung deaktivierter Feuerwaffen innerhalb der Europäischen Union – Art. 7 – Gegenseitige Anerkennung“

In der Rechtssache C‑296/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) mit Entscheidung vom 26. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Mai 2021, in dem Verfahren

A

Beteiligte:

Helsingin poliisilaitos,

Poliisihallitus,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von A, vertreten durch P. Snell,

– der Poliisihallitus, vertreten durch M. Koponen und M. Lehtonen,

– der finnischen Regierung, durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, durch M. Huttunen, I. Söderlund und R. Tricot als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juli 2022

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 1991, L 256, S. 51) in der durch die Richtlinie 2008/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 (ABl. 2008, L 179, S. 5) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/477) sowie der Art. 3 und 7 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2403 der Kommission vom 15. Dezember 2015 zur Festlegung gemeinsamer Leitlinien über Deaktivierungsstandards und ‑techniken, die gewährleisten, dass Feuerwaffen bei der Deaktivierung endgültig unbrauchbar gemacht werden (ABl. 2015, L 333, S. 62).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A und der Helsingin poliisilaitos (Polizeibehörde Helsinki, Finnland) wegen deren Weigerung, in Österreich ausgestellte Deaktivierungsbescheinigungen für Feuerwaffen anzuerkennen, die bei der Verbringung dieser Waffen nach Finnland vorgelegt wurden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 91/477

3 Die Richtlinie wurde durch die Richtlinie (EU) 2021/555 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. März 2021 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 2021, L 115, S. 1) aufgehoben. In Anbetracht des im vorliegenden Fall maßgeblichen Zeitraums unterliegt der Ausgangsrechtsstreit jedoch weiterhin den Vorschriften der Richtlinie 91/477.

4 Ziel dieser Richtlinie war nach ihren Erwägungsgründen 3 und 4 eine Angleichung des Waffenrechts durch eine wirksame Regelung, die innerhalb der Mitgliedstaaten die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Feuerwaffen sowie ihres Verbringens in einen anderen Mitgliedstaat ermöglicht.

5 Durch die Richtlinie 2008/51 wurde die Richtlinie 91/477 in ihrer ursprünglichen Fassung u. a. zu dem Zweck geändert, das Protokoll der Vereinten Nationen betreffend die Bekämpfung der unerlaubten Herstellung von und des unerlaubten Handels mit Schusswaffen, Teilen von Schusswaffen und Munition zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, das die Europäische Kommission am 16. Januar 2002 gemäß dem Beschluss 2001/748/EG des Rates vom 16. Oktober 2001 (ABl. 2001, L 280, S. 5) im Namen der Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet hat, in das Unionsrecht zu integrieren.

6 Die Erwägungsgründe 1, 11, 12 und 15 der Richtlinie 2008/51 lauten:

„(1) Die Richtlinie [91/477] war eine Begleitmaßnahme zur Schaffung des Binnenmarktes. Mit ihr wird einerseits der freie Verkehr für bestimmte Feuerwaffen in der Gemeinschaft gewährleistet, aber andererseits dieser freie Verkehr auch durch bestimmte Sicherheitsvorkehrungen speziell für diese Waren wiederum eingeschränkt.

(11) Im Hinblick auf die Unbrauchbarmachung von Feuerwaffen findet sich in Anhang I Abschnitt III a der Richtlinie [91/477] lediglich ein Verweis auf die nationalen Rechtsvorschriften. Im Protokoll [der Vereinten Nationen betreffend die Bekämpfung der unerlaubten Herstellung von und des unerlaubten Handels mit Schusswaffen, Teilen von Schusswaffen und Munition] werden die allgemeinen Grundsätze der Unbrauchbarmachung der Waffen genauer benannt. Anhang I der Richtlinie [91/477] sollte daher entsprechend geändert werden.

(12) Die Tätigkeit von Waffenhändlern muss aufgrund ihres besonderen Charakters einer strengen Kontrolle durch die Mitgliedstaaten unterliegen, wobei insbesondere die berufliche Zuverlässigkeit und die Fähigkeiten dieser Waffenhändler überprüft werden müssen.

(15) Um die Nachverfolgung von Feuerwaffen zu erleichtern und den unerlaubten Handel und die unerlaubte Herstellung von Feuerwaffen, Teilen von Feuerwaffen und Munition wirksam zu bekämpfen, muss der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten verbessert werden.“

7 Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 91/477 bestimmte:

„(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ‚Feuerwaffe‘ jede tragbare Waffe, die Schrot, eine Kugel oder ein anderes Geschoss mittels Treibladung durch einen Lauf verschießt, die für diesen Zweck gebaut ist oder die für diesen Zweck umgebaut werden kann, es sei denn, sie ist aus einem der in Anhang I Abschnitt III genannten Gründe ausgenommen. Die Einteilung der Feuerwaffen ist in Anhang I Abschnitt II geregelt.

Im Sinne dieser Richtlinie ist ein Gegenstand zum Verschießen von Schrot, einer Kugel oder eines anderen Geschosses mittels Treibladung umbaubar, wenn er

– das Aussehen einer Feuerwaffe hat und

– sich aufgrund seiner Bauweise oder des Materials, aus dem er hergestellt ist, zu einem Umbau eignet.

(2) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ‚Waffenhändler‘ jede natürliche oder juristische Person, deren Beruf oder Gewerbe ganz oder teilweise darin besteht, dass sie Feuerwaffen, Teile von Feuerwaffen und Munition herstellt, damit Handel treibt, sie tauscht, verleiht, repariert oder umbaut.“

8 Anhang I Abschnitt III dieser Richtlinie sah vor:

„Im Sinne dieses Anhangs sind nicht in die Definition der Feuerwaffen einbezogen Gegenstände, die der Definition zwar entsprechen, die jedoch

a) durch ein Deaktivierungsverfahren auf Dauer unbrauchbar gemacht wurden, das verbürgt, dass alle wesentlichen Bestandteile der Feuerwaffe auf Dauer unbrauchbar sind und nicht mehr entfernt, ausgetauscht oder in einer Weise umgebaut werden können, die eine Reaktivierung der Feuerwaffe ermöglicht;

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, um die Maßnahmen zur Deaktivierung gemäß Buchstabe a durch eine zuständige Behörde überprüfen zu lassen, um sicherzustellen, dass die Änderungen an der Feuerwaffe diese auf Dauer unbrauchbar machen. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Überprüfung der Deaktivierung von Waffen entweder durch die Ausstellung einer entsprechenden Bescheinigung oder durch die Anbringung eines deutlich sichtbaren Zeichens auf der Feuerwaffe bestätigt wird. Die Kommission erlässt nach dem Verfahren gemäß Artikel 13a Absatz 2 der Richtlinie gemeinsame Leitlinien für Deaktivierungsstandards und ‑techniken, um sicherzustellen, dass deaktivierte Feuerwaffen auf Dauer unbrauchbar sind.

Bis zur Koordinierung auf Gemeinschaftsebene dürfen die Mitgliedstaaten ihre jeweiligen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf die in diesem Abschnitt aufgeführten Feuerwaffen anwenden.“

Durchführungsverordnung 2015/2403

9 Die Erwägungsgründe 2 und 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 lauten:

„(2) Nach Anhang I Abschnitt III erster Absatz Buchstabe a der Richtlinie [91/477] sind Gegenstände, die der Definition der Feuerwaffen entsprechen, nicht in diese Definition einzubeziehen, falls sie durch ein Deaktivierungsverfahren auf Dauer unbrauchbar gemacht wurden, das verbürgt, dass alle wesentlichen Bestandteile der Feuerwaffe auf Dauer unbrauchbar sind und nicht mehr entfernt, ausgetauscht oder in einer Weise umgebaut werden können, die eine Reaktivierung der Feuerwaffe ermöglicht.

(3) Nach Anhang I Abschnitt III zweiter Absatz der Richtlinie [91/477] haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um die Maßnahmen zur Deaktivierung gemäß Buchstabe a durch eine zuständige Behörde überprüfen zu lassen, um sicherzustellen, dass die Änderungen an der Feuerwaffe diese auf Dauer unbrauchbar machen. Die Mitgliedstaaten haben auch dafür zu sorgen, dass die Deaktivierung von Waffen entweder durch die Ausstellung einer entsprechenden Bescheinigung oder durch die Anbringung eines deutlich sichtbaren Zeichens auf der Feuerwaffe bestätigt wird.“

10 Art. 2 („Zur Deaktivierung von Feuerwaffen befugte Personen und Stellen“) dieser Durchführungsverordnung bestimmt:

„Die Deaktivierung von Feuerwaffen wird von öffentlichen oder privaten Stellen beziehungsweise von Einzelpersonen durchgeführt, die nach nationalem Recht dazu befugt sind.“

11 Art. 3 („Überprüfung und Bescheinigung der Deaktivierung von Feuerwaffen“) der Durchführungsverordnung 2015/2403 legt fest:

„(1) Die Mitgliedstaaten benennen eine zuständige Behörde (‚überprüfende Behörde‘), damit überprüft wird, ob die Deaktivierung einer Feuerwaffe im Einklang mit den in Anhang I festgelegten technischen Spezifikationen durchgeführt wurde.

(2) Ist die überprüfende Behörde auch zur Deaktivierung von Feuerwaffen befugt...

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