European Commission v Tempus Energy Ltd and Tempus Energy Technology Ltd.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:663
Docket NumberC-57/19
Date02 September 2021
Celex Number62019CJ0057
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

2. September 2021(*)

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Beihilferegelung – Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV – Verordnung (EG) Nr. 659/1999 – Art. 4 Abs. 3 und 4 – Begriff ‚Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit einer angemeldeten Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt‘ – Entscheidung, keine Einwände zu erheben – Keine Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens – Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014‑2020 – Verhaltenskodex für die Durchführung von Beihilfeverfahren – ‚Vorabkontakte‘ – Verfahrensrechte der Beteiligten – Kapazitätsmarkt im Vereinigten Königreich“

In der Rechtssache C‑57/19 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 25. Januar 2019,

Europäische Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier und P. Němečková als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerin,

unterstützt durch

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,

andere Parteien des Verfahrens:

Tempus Energy Ltd mit Sitz in Pontypridd (Vereinigtes Königreich),

Tempus Energy Technology Ltd mit Sitz in Pontypridd,

Prozessbevollmächtigte: J. Derenne und D. Vallindas, avocats, sowie Rechtsanwalt C. Ziegler,

Klägerinnen im ersten Rechtszug,

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, zunächst vertreten durch F. Shibli, S. McCrory und Z. Lavery, dann durch F. Shibli und S. McCrory im Beistand von G. Facenna, QC, und D. Mackersie, Barrister,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter), der Richter N. Piçarra, D. Šváby und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Juni 2021

folgendes

Urteil

1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Europäische Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 15. November 2018, Tempus Energy und Tempus Energy Technology/Kommission (T‑793/14, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:790), mit dem das Gericht den Beschluss C(2014) 5083 final der Kommission vom 23. Juli 2014, keine Einwände gegen die Beihilferegelung zum Kapazitätsmarkt im Vereinigten Königreich zu erheben (staatliche Beihilfe 2014/N‑2) (ABl. 2014, C 348, S. 5, im Folgenden: streitiger Beschluss), für nichtig erklärt hat.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung (EG) Nr. 659/1999

2 Art. 4 („Vorläufige Prüfung der Anmeldung und Entscheidungen der Kommission“) der auf die in Rede stehende Beihilferegelung anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1) bestimmt in seinen Abs. 2 bis 5:

„(2) Gelangt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung zu dem Schluss, dass die angemeldete Maßnahme keine Beihilfe darstellt, so stellt sie dies durch Entscheidung fest.

(3) Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme, insoweit sie in den Anwendungsbereich des Artikels [107] Absatz 1 [AEUV] fällt, keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt, so entscheidet sie, dass die Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist (nachstehend ‚Entscheidung, keine Einwände zu erheben‘ genannt). In der Entscheidung wird angeführt, welche Ausnahmevorschrift des Vertrags zur Anwendung gelangt ist.

(4) Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt, so entscheidet sie, das Verfahren nach Artikel [108] Absatz 2 [AEUV] zu eröffnen (nachstehend ‚Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens‘ genannt).

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 2, 3 und 4 werden innerhalb von zwei Monaten erlassen. Diese Frist beginnt am Tag nach dem Eingang der vollständigen Anmeldung. Die Anmeldung gilt als vollständig, wenn die Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Anmeldung oder nach Eingang der von ihr – gegebenenfalls – angeforderten zusätzlichen Informationen keine weiteren Informationen anfordert. Die Frist kann mit Zustimmung der Kommission und des betreffenden Mitgliedstaats verlängert werden. Die Kommission kann bei Bedarf kürzere Fristen setzen.“

3 Art. 6 („Förmliches Prüfverfahren“) dieser Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens enthält eine Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, eine vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters der geplanten Maßnahme durch die Kommission und Ausführungen über ihre Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt. Der betreffende Mitgliedstaat und die anderen Beteiligten werden in dieser Entscheidung zu einer Stellungnahme innerhalb einer Frist von normalerweise höchstens einem Monat aufgefordert. In ordnungsgemäß begründeten Fällen kann die Kommission diese Frist verlängern.“

Verhaltenskodex

4 Der Verhaltenskodex für die Durchführung von Beihilfeverfahren (ABl. 2009, C 136, S. 13, im Folgenden: Verhaltenskodex) enthält u. a. einen Titel 3 („Vorabkontakte“), in dem sich die Nrn. 10 bis 18 dieses Kodex befinden. Die Nrn. 10 bis 16 lauten wie folgt:

„10. Die Erfahrung der Kommission zeigt, dass Vorabkontakte selbst in vermeintlichen Routinefällen nützlich sind. Vorabkontakte geben den Kommissionsdienststellen und dem anmeldenden Mitgliedstaat die Möglichkeit, die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte eines geplanten Beihilfevorhabens im Vorfeld der Anmeldung auf vertrauensvoller Grundlage informell zu erörtern, was sich auf Qualität und Vollständigkeit der förmlichen Anmeldungen positiv auswirkt. In diesem Rahmen können der betreffende Mitgliedstaat und die Kommissionsdienststellen auch gemeinsam konstruktive Vorschläge zur Änderung problematischer Aspekte einer geplanten Beihilfemaßnahme ausarbeiten. Die Voranmeldephase schafft somit die Voraussetzungen für eine beschleunigte Prüfung der Anmeldungen nach ihrer förmlichen Übermittlung an die Kommission. Wird die Möglichkeit der Voranmeldung erfolgreich genutzt, dürfte die Kommission in der Lage sein, Entscheidungen nach Artikel 4 Absatz 2, 3 bzw. 4 der Verordnung … Nr. 659/1999 innerhalb von zwei Monaten nach der Anmeldung zu erlassen …

11. Ausdrücklich empfohlen werden Vorabkontakte, wenn eine Beihilfesache aufgrund bestimmter Neuerungen oder anderer Besonderheiten informelle Erörterungen mit den Kommissionsdienststellen im Vorfeld der Anmeldung gerechtfertigt erscheinen lassen. Die Kommission wird generell aber, wenn gewünscht, den Mitgliedstaaten informell Erläuterungen zur Verfügung stellen.

3.1. Gegenstand

12. Die Voranmeldephase bietet Gelegenheit zu erörtern und zu erläutern, welche Angaben auf dem Anmeldeformular gemacht werden müssen, damit die Anmeldung von Anfang an vollständig ist. Im Rahmen der Voranmeldephase können auch die wichtigsten Probleme, die eine geplante Maßnahme aufwirft, in offener und konstruktiver Weise erörtert werden. Dies ist besonders wichtig, wenn Beihilfevorhaben in der ursprünglich beabsichtigten Form nicht genehmigt werden könnten und daher zurückgezogen oder in wesentlichen Punkten geändert werden sollten. Während der Voranmeldephase kann ferner geprüft werden, ob für das Vorhaben andere Rechtsgrundlagen herangezogen werden können bzw. ob es einschlägige frühere Fälle gibt. Darüber hinaus können die Kommissionsdienststellen und der betreffende Mitgliedstaat in dieser Phase wesentliche wettbewerbsrechtliche Bedenken erörtern und prüfen, welche ökonomischen Analysen und ggf. Beiträge externer Sachverständiger erforderlich sind, um die Vereinbarkeit eines Beihilfevorhabens mit dem Gemeinsamen Markt nachzuweisen. Der anmeldende Mitgliedstaat kann in der Voranmeldephase auch beantragen, dass die Kommissionsdienststellen auf bestimmte Angaben im Anmeldeformular verzichten, die für die Prüfung des konkreten Beihilfevorhabens irrelevant sind. Die Voranmeldephase ist darüber hinaus entscheidend, um zu ermitteln, ob eine Beihilfesache prima facie für das vereinfachte Verfahren … in Betracht kommt.

3.2. Umfang und zeitlicher Ablauf

13. Damit die Voranmeldephase konstruktiv und effizient genutzt werden kann, liegt es im Interesse des betreffenden Mitgliedstaats, der Kommission auf einem Anmeldungsentwurf alle Angaben zu übermitteln, die für die Prüfung des Beihilfevorhabens notwendig sind. Mit Blick auf eine zügige Bearbeitung der Beihilfesache werden Vorabkontakte (per E‑Mail oder Telefonkonferenz) gegenüber Treffen grundsätzlich bevorzugt. Die Kommissionsdienststellen organisieren in der Regel innerhalb von zwei Wochen nach Empfang des Anmeldungsentwurfs einen ersten Vorabkontakt her.

14. Vorabkontakte sollten im Allgemeinen nicht länger als 2 Monate dauern und die Übermittlung einer vollständigen Anmeldung zur Folge haben. Führen die Vorabkontakte nicht zu den gewünschten Ergebnissen, so können die Kommissionsdienststellen die Voranmeldephase für abgeschlossen erklären. Da der zeitliche Ablauf und die Form der Vorabkontakte jedoch von der Komplexität des Einzelfalls abhängen, können sich Vorabkontakte unter Umständen auch über mehrere Monate erstrecken. In besonders schwierigen Fällen (z. B. Rettungsbeihilfen, hohe Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen, hohe Einzelbeihilfen oder besonders umfassende oder komplexe Beihilferegelungen) empfiehlt die Kommission daher, dass der Mitgliedstaat die Vorabkontakte so früh wie möglich aufnimmt, um konstruktive Gespräche zu ermöglichen.

15. Nach den Erfahrungen der Kommission ist es äußerst nützlich, den Beihilfeempfänger in die Vorabkontakte einzubinden, zumal wenn die Beihilfemaßnahme erhebliche technische, finanzielle und vorhabenbezogene Auswirkungen hat. Daher empfiehlt die Kommission...

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