Asmel societá consortile a r.l. contra A.N.A.C. - Autorità Nazionale Anticorruzione.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2020:423
Date04 June 2020
Docket NumberC-3/19
Celex Number62019CJ0003
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

4. Juni 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2004/18/EG – Zentrale Beschaffungsstellen – Kleine Gemeinden – Beschränkung auf lediglich zwei Organisationsmodelle für die zentralen Beschaffungsstellen – Verbot der Beauftragung einer privatrechtlichen zentralen Beschaffungsstelle, an der private Rechtssubjekte beteiligt sind – Geografische Beschränkung der Tätigkeit der zentralen Beschaffungsstellen“

In der Rechtssache C-3/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 20. September 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Januar 2019, in dem Verfahren

Asmel Soc. cons. a r.l.

gegen

Autorità Nazionale Anticorruzione (ANAC),

Beteiligte:

Associazione Nazionale Aziende Concessionarie Servizi entrate (Anacap),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter P. G. Xuereb, T. von Danwitz und A. Kumin,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Asmel Soc. cons. a r.l., vertreten durch M. Chiti, A. Sandulli, L. Lentini und B. Cimino, avvocati,

– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte, im Beistand von C. Colelli und C. Pluchino, avvocatesse dello Stato,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, P. Ondrůšek und L. Haasbeek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. April 2020

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 10 und Art. 11 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1336/2013 der Kommission vom 13. Dezember 2013 (ABl. 2013, L 335, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2004/18) sowie der Grundsätze der Dienstleistungsfreiheit und der maximalen Öffnung des Wettbewerbs im Bereich der öffentlichen Dienstleistungsaufträge. Die Richtlinie 2004/18 wurde durch die Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 65) aufgehoben.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Asmel Soc. cons. a r.l. (im Folgenden: Asmel) und der Autorità Nazionale Anticorruzione (ANAC) (Nationale Behörde zur Korruptionsbekämpfung, Italien) wegen der von der ANAC am 30. April 2015 erlassenen Entscheidung Nr. 32, mit der Asmel untersagte wurde, als Mittlerin bei der Vergabe öffentlicher Aufträge aufzutreten, und die von dieser Gesellschaft durchgeführten Ausschreibungen wegen der Missachtung der im italienischen Recht für zentrale Beschaffungsstellen vorgesehenen Organisationmodelle für rechtswidrig erklärt wurden (im Folgenden: streitige Entscheidung).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Der zweite Erwägungsgrund der zur Zeit des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalts anwendbaren Richtlinie 2004/18 lautet:

„Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz. Für öffentliche Aufträge, die einen bestimmten Wert überschreiten, empfiehlt sich indessen die Ausarbeitung von auf diesen Grundsätzen beruhenden Bestimmungen zur gemeinschaftlichen Koordinierung der nationalen Verfahren für die Vergabe solcher Aufträge, um die Wirksamkeit dieser Grundsätze und die Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens für den Wettbewerb zu garantieren. Folglich sollten diese Koordinierungsbestimmungen nach Maßgabe der genannten Regeln und Grundsätze sowie gemäß den anderen Bestimmungen des Vertrags ausgelegt werden.“

4 Der 16. Erwägungsgrund der Richtlinie sieht vor:

„Zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten sollte es in das Ermessen derselben gestellt werden, zu entscheiden, ob für die öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit vorgesehen werden soll, auf Rahmenvereinbarungen, zentrale Beschaffungsstellen, dynamische Beschaffungssysteme, elektronische Auktionen und Verhandlungsverfahren, wie sie in dieser Richtlinie vorgesehen und geregelt sind, zurückzugreifen.“

5 Art. 1 Abs. 8 bis 10 dieser Richtlinie bestimmt:

„(8) Die Begriffe ‚Unternehmer‘, ‚Lieferant‘ und ,Dienstleistungserbringer‘ bezeichnen natürliche oder juristische Personen, öffentliche Einrichtungen oder Gruppen dieser Personen und/oder Einrichtungen, die auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbieten.

Der Begriff ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ umfasst sowohl Unternehmer als auch Lieferanten und Dienstleistungserbringer. Er dient ausschließlich der Vereinfachung des Textes.

(9) ‚Öffentliche Auftraggeber‘ sind der Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts und die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen.

Als ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ gilt jede Einrichtung, die

a) zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen,

b) Rechtspersönlichkeit besitzt und

c) überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.

(10) Eine ‚zentrale Beschaffungsstelle‘ ist ein öffentlicher Auftraggeber, der

– für öffentliche Auftraggeber bestimmte Waren und/oder Dienstleistungen erwirbt oder

– öffentliche Aufträge vergibt oder Rahmenvereinbarungen über Bauleistungen, Waren oder Dienstleistungen für öffentliche Auftraggeber schließt.“

6 Art. 2 („Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen“) der Richtlinie bestimmt:

„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor.“

7 Gemäß Art. 7 Buchst. b erster Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 gilt diese unter anderem für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge, die von anderen als den in Anhang IV genannten öffentlichen Auftraggebern vergeben werden und deren Wert (ohne Mehrwertsteuer) einen Schwellenwert von 207 000 Euro erreicht oder überschreitet. Für öffentliche Bauaufträge legt Art. 7 Buchst. c der Richtlinie einen Schwellenwert von 5 186 000 Euro fest.

8 Art. 11 („Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Abschluss von Rahmenvereinbarungen durch zentrale Beschaffungsstellen“) der Richtlinie lautet:

„(1) Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass die öffentlichen Auftraggeber Bauleistungen, Waren und/oder Dienstleistungen durch zentrale Beschaffungsstellen erwerben dürfen.

(2) Bei öffentlichen Auftraggebern, die Bauleistungen, Waren und/oder Dienstleistungen durch eine zentrale Beschaffungsstelle gemäß Artikel 1 Absatz 10 erwerben, wird vermutet, dass sie diese Richtlinie eingehalten haben, sofern diese zentrale Beschaffungsstelle sie eingehalten hat.“

Italienisches Recht

Decreto legislativo Nr. 267/2000

9 Art. 30 Abs. 1 des Decreto legislativo n. 267 – Testo unico delle leggi sull’ordinamento degli enti locali (Gesetzesvertretende Verordnung Nr. 267 – Einheitstext der Bestimmungen über die Gebietskörperschaften) vom 18. August 2000 (GURI Nr. 227 vom 28. September 2000) (im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 267/2000) sieht vor:

„Um bestimmte Aufgaben und Dienste in koordinierter Weise durchzuführen, können Gebietskörperschaften untereinander entsprechende Vereinbarungen treffen.“

10 In Art. 31 („Konsortien“) Abs. 1 des Decreto legislativo heißt es:

„Die Gebietskörperschaften können zur gemeinsamen Verwaltung eines oder mehrerer Dienste und zur gemeinsamen Wahrnehmung von Aufgaben unter sinngemäßer Anwendung der Regeln für Sonderunternehmen im Sinne von Artikel 114 ein Konsortium bilden. Andere öffentliche Einrichtungen können sich, wenn sie dazu befugt sind, nach Maßgabe der für sie geltenden Vorschriften an dem Konsortium beteiligen.“

11 In Art. 32 Abs. 1 des Decreto legislativo wird der „Gemeindeverband“ als eine „aus zwei oder mehr meist benachbarten Gemeinden bestehende Gebietskörperschaft für die gemeinsame Wahrnehmung von Aufgaben und Erbringung von Dienstleistungen“ definiert.

Decreto legislativo Nr. 163/2006

12 Art. 3 Abs. 25 des Decreto legislativo n. 163 – Codice dei contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture in attuazione delle direttive 2004/17/CE e 2004/18/CE (Gesetzesvertretende Verordnung Nr. 163 – Gesetzbuch über öffentliche Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge zur Umsetzung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG) vom 12. April 2006 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 100 vom 2. Mai 2006) (im Folgenden: Decreto legislativo Nr...

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