Vodafone Kabel Deutschland GmbH v Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände - Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:975
Date02 December 2021
Docket NumberC-484/20
Celex Number62020CJ0484
CourtCourt of Justice (European Union)
62020CJ0484

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

2. Dezember 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie (EU) 2015/2366 – Zahlungsdienste – Art. 62 Abs. 4 – Entgelte – Art. 107 Abs. 1 – Vollständige Harmonisierung – Art. 115 Abs. 1 und 2 – Umsetzung und Anwendung – Abonnements für Kabelfernsehen und Internetzugang – Vor dem Zeitpunkt der Umsetzung dieser Richtlinie geschlossene Dauerschuldverhältnisse – Entgelte für nach diesem Datum bewirkte Zahlungsvorgänge ohne Bankeinzug“

In der Rechtssache C‑484/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht München (Deutschland) mit Entscheidung vom 1. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Verfahren

Vodafone Kabel Deutschland GmbH

gegen

Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Dritten Kammer K. Jürimäe in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Neunten Kammer sowie der Richter S. Rodin und N. Piçarra (Berichterstatter),

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Vodafone Kabel Deutschland GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt L. Stelten,

des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V., vertreten durch Rechtsanwältin C. Hillebrecht,

der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und U. Bartl als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Meloncelli, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe und T. Scharf als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (ABl. 2015, L 337, S. 35, und Berichtigung ABl. 2018, L 102, S. 97).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vodafone Kabel Deutschland GmbH (im Folgenden: Vodafone) und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (Deutschland) (im Folgenden: Bundesverband) über die Erhebung einer Pauschale für die Nutzung bestimmter Zahlungsinstrumente zur Ausführung von Zahlungsvorgängen, die sich aus zwischen Vodafone und Verbrauchern geschlossenen Verträgen ergeben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Erwägungsgründen 6, 53 und 66 der Richtlinie 2015/2366 heißt es:

„(6)

Zur Schließung der Regulierungslücken sollten neue Vorschriften vorgesehen werden, und gleichzeitig sollte mehr Rechtsklarheit geschaffen und die unionsweit einheitliche Anwendung des rechtlichen Rahmens sichergestellt werden. Den bestehenden sowie den neuen Marktteilnehmern sollten gleichwertige Bedingungen für ihre Tätigkeit garantiert werden, indem neuen Zahlungsmitteln der Zugang zu einem größeren Markt eröffnet und ein hohes Maß an Verbraucherschutz bei der Nutzung dieser Zahlungsdienstleistungen in der Union als Ganzes gewährleistet wird. …

(53)

Da die Situation von Verbrauchern und Unternehmen nicht dieselbe ist, brauchen sie nicht im selben Umfang geschützt zu werden. Zwar müssen die Verbraucherrechte durch Vorschriften geschützt werden, die nicht vertraglich abbedungen werden können, doch sollte es Unternehmen und Organisationen freistehen, abweichende Vereinbarungen zu schließen, wenn es nicht um vertragliche Beziehungen zu Verbrauchern geht. … In jedem Fall sollten bestimmte zentrale Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig vom Status des Nutzers immer gelten.

(66)

Unterschiedliche Vorgehensweisen in den einzelnen Ländern bei der Entgeltberechnung für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments (nachstehend ‚zusätzliche Entgelte‘…) haben zu einer enormen Heterogenität des Zahlungsverkehrsmarkts in der Union geführt und bei den Verbrauchern Verwirrung ausgelöst, insbesondere beim elektronischen Geschäftsverkehr und im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. … Deutlich für eine Überprüfung der Praxis der zusätzlichen Entgelte spricht des Weiteren die Tatsache, dass in der Verordnung (EU) 2015/751 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge (ABl. 2015, L 123, S. 1)] Vorschriften über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge festgelegt werden. … Daher sollten die Mitgliedstaaten in Erwägung ziehen, Zahlungsempfänger davon abzuhalten, Entgelte für die Verwendung von Zahlungsinstrumenten zu fordern, für die Kapitel II der Verordnung (EU) 2015/751 Vorschriften für die Interbankenentgelte enthält.“

4

In Art. 4 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

5.

‚Zahlungsvorgang‘ die bzw. den vom Zahler, im Namen des Zahlers oder vom Zahlungsempfänger ausgelöste(n) Bereitstellung, Transfer oder Abhebung eines Geldbetrags, unabhängig von etwaigen zugrunde liegenden Verpflichtungen im Verhältnis zwischen Zahler und Zahlungsempfänger;

8.

‚Zahler‘ eine natürliche oder juristische Person, die Inhaber eines Zahlungskontos ist und die einen Zahlungsauftrag von diesem Zahlungskonto gestattet oder – falls kein Zahlungskonto vorhanden ist – eine natürliche oder juristische Person, die den Auftrag für einen Zahlungsvorgang erteilt;

9.

‚Zahlungsempfänger‘ eine natürliche oder juristische Person, die den Geldbetrag, der Gegenstand eines Zahlungsvorgangs ist, als Empfänger erhalten soll;

10.

‚Zahlungsdienstnutzer‘ eine natürliche oder juristische Person, die einen Zahlungsdienst als Zahler oder Zahlungsempfänger oder in beiden Eigenschaften in Anspruch nimmt;

13.

‚Zahlungsauftrag‘ einen Auftrag, den ein Zahler oder Zahlungsempfänger seinem Zahlungsdienstleister zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs erteilt;

14.

‚Zahlungsinstrument‘ jedes personalisierte Instrument und/oder jeden personalisierten Verfahrensablauf, das bzw. der zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister vereinbart wurde und zur Erteilung eines Zahlungsauftrags verwendet wird;

20.

‚Verbraucher‘ eine natürliche Person, die bei den von dieser Richtlinie erfassten Zahlungsdienstverträgen zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können;

…“

5

Art. 62 („Entgelte“) der Richtlinie sieht in den Abs. 3 bis 5 vor:

„(3) Der Zahlungsdienstleister darf dem Zahlungsempfänger nicht verwehren, vom Zahler für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments ein Entgelt zu verlangen, ihm eine Ermäßigung anzubieten oder ihm anderweitig einen Anreiz zur Nutzung dieses Instruments zu geben. Entgelte dürfen nicht höher sein als die direkten Kosten, die dem Zahlungsempfänger für die Nutzung des betreffenden Zahlungsinstruments entstehen.

(4) Die Mitgliedstaaten stellen in jedem Fall sicher, dass der Zahlungsempfänger keine Entgelte für die Nutzung von Zahlungsinstrumenten verlangt, für die mit Kapitel II der Verordnung (EU) 2015/751 Interbankenentgelte … geregelt werden, und für die Zahlungsdienstleistungen, auf die die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (ABl. 2012, L 94, S. 22)] anwendbar ist.

(5) Die Mitgliedstaaten können dem Zahlungsempfänger die Erhebung von Entgelten untersagen oder dieses Recht begrenzen; dabei tragen sie der Notwendigkeit Rechnung, den Wettbewerb und die Nutzung effizienter Zahlungsinstrumente zu fördern.“

6

Art. 107 („Vollständige Harmonisierung“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Unbeschadet … des Artikels 62 Absatz 5 … dürfen die Mitgliedstaaten in den Bereichen, in denen diese Richtlinie harmonisierte Bestimmungen enthält, keine anderen als die in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen beibehalten oder einführen.“

7

In Art. 115 („Umsetzung“) der Richtlinie 2015/2366 heißt es in den Abs. 1 und 2:

„(1) Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 13. Januar 2018 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. …

(2) Sie wenden diese Vorschriften ab dem 13. Januar 2018 an.

…“

Deutsches Recht

8

§ 270a des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der ab dem 13. Januar 2018 anwendbaren Fassung (im Folgenden: BGB) sieht vor:

„Eine Vereinbarung, durch die der Schuldner verpflichtet wird, ein Entgelt für die Nutzung einer SEPA [(Einheitlicher Euro-Zahlungsverkehrsraum)]-Basislastschrift, einer SEPA-Firmenlastschrift, einer SEPA-Überweisung oder einer Zahlungskarte zu entrichten, ist unwirksam. Satz 1 gilt für die Nutzung von Zahlungskarten nur bei Zahlungsvorgängen mit Verbrauchern, wenn auf diese Kapitel II der Verordnung [2015/751] anwendbar ist.“

9

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