Commissione europea contro Repubblica italiana.

JurisdictionEuropean Union
Date10 November 2020
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

10. November 2020(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 2008/50/EG – Luftqualität – Art. 13 Abs. 1 und Anhang XI – Systematische und andauernde Überschreitung der Grenzwerte für Feinstaub (PM10) in bestimmten italienischen Gebieten und Ballungsräumen – Art. 23 Abs. 1 – Anhang XV – ‚so kurz wie möglich‘ gehaltener Zeitraum der Überschreitung – Geeignete Maßnahmen“

In der Rechtssache C‑644/18

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 13. Oktober 2018,

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch G. Gattinara und K. Petersen, dann durch G. Gattinara und E. Manhaeve als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Italienische Republik, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. De Luca und P. Gentili, avvocati dello Stato,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten N. Piçarra und A. Kumin (Berichterstatter), der Richter E. Juhász, M. Safjan, D. Šváby, S. Rodin und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, und P. G. Xuereb,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch, dass sie

– die Grenzwerte für die Konzentrationen von PM10-Partikeln (im Folgenden: Grenzwerte für PM10) systematisch und andauernd überschritten hat und weiterhin überschreitet

– hinsichtlich des Tagesgrenzwerts

– ab 2008 in folgenden Gebieten: IT 1212 (Tal des Sacco); IT 1215 (Ballungsraum Rom); IT 1507 (ex Gebiet IT 1501, Sanierungsgebiet – Neapel und Caserta); IT 0892 (Emilia Romagna, West-Pianura [westliche Ebene]); IT 0893 (Emilia Romagna, Ost-Pianura [östliche Ebene]); IT 0306 (Ballungsraum Mailand); IT 0307 (Ballungsraum Bergamo); IT 0308 (Ballungsraum Brescia); IT 0309 (Lombardei, stark urbanisierte Ebene A); IT 0310 (Lombardei, stark urbanisierte Ebene B); IT 0312 (Lombardei, Talboden D); IT 0119 (Piemont Ebene); IT 0120 (Piemonter Hügel);

– ab 2009 in folgenden Gebieten: IT 0508 und IT 0509 (ex Gebiet IT 0501, Ballungsraum Venedig-Treviso); IT 0510 (ex Gebiet IT 0502, Ballungsraum Padua); IT 0511 (ex Gebiet IT 0503, Ballungsraum Vicenza), IT 0512 (ex Gebiet IT 0504, Ballungsraum Verona); IT 0513 und IT 0514 (ex Gebiet IT 0505; Gebiet A1 – Provinz Venetien);

– von 2008 bis 2013 und danach erneut ab 2015 im Gebiet IT 0907 (Gebiet Prato-Pistoia);

– von 2008 bis 2012 und danach erneut ab 2014 in den Gebieten IT 0909 (Gebiet Valdarno Pisano und Piana Lucchese) und IT 0118 (Ballungsraum Turin);

– von 2008 bis 2009 und danach erneut ab 2011 in den Gebieten IT 1008 (Gebiet der Conca Ternana [Becken von Terni]) und IT 1508 (ex Gebiet IT 1504, Küsten- und Hügelgebiet im Benevento);

– im Jahr 2008 und danach erneut ab 2011 im Gebiet IT 1613 (Puglia – Industriegebiet);

– von 2008 bis 2012, im Jahr 2014 und ab 2016 im Gebiet IT 1911 (Ballungsraum Palermo);

– hinsichtlich des Jahresgrenzwerts in folgenden Gebieten: IT 1212 (Tal des Sacco) seit 2008 und ununterbrochen bis mindestens 2016; IT 0508 und IT 0509 (ex Gebiet IT 0501, Ballungsraum Venezia-Treviso) in den Jahren 2009, 2011 und 2015; IT 0511 (ex Gebiet IT 0503, Ballungsraum Vicenza) in den Jahren 2011, 2012 und 2015; IT 0306 (Ballungsraum Mailand), IT 0308 (Ballungsraum Brescia), IT 0309 (Lombardei, stark urbanisierte Ebene A) und IT 0310 (Lombardei, stark urbanisierte Ebene B) von 2008 bis 2013 und ab 2015; IT 0118 (Ballungsraum Turin) von 2008 bis 2012 und ab 2015,

gegen ihre Verpflichtung aus Art. 13 der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. 2008, L 152, S. 1) in Verbindung mit deren Anhang XI verstoßen hat

und

– dadurch, dass sie nicht ab dem 11. Juni 2010 geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um in all diesen Gebieten die Einhaltung der Grenzwerte für PM10 zu gewährleisten, gegen die Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 allein und in Verbindung mit deren Anhang XV Teil A und insbesondere gegen die nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie bestehende Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass der Zeitraum der Überschreitung der Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten wird, verstoßen hat.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 96/62/EG

2 Art. 8 („Maßnahmen für Gebiete, in denen die Werte die Grenzwerte überschreiten“) Abs. 1, 3 und 4 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. 1996, L 296, S. 55) sah vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten erstellen die Liste der Gebiete und Ballungsräume, in denen die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge überschreiten.

...

(3) Für die Gebiete und Ballungsräume des Absatzes 1 ergreifen die Mitgliedstaaten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass ein Plan oder Programm ausgearbeitet oder durchgeführt wird, aufgrund dessen der Grenzwert binnen der festgelegten Frist erreicht werden kann.

Der Plan oder das Programm, zu dem die Öffentlichkeit Zugang haben muss, umfasst mindestens die in Anhang IV aufgeführten Angaben.

(4) Für die Gebiete und Ballungsräume des Absatzes 1, in denen der Wert von mehr als einem Schadstoff die Grenzwerte überschreitet, stellen die Mitgliedstaaten einen integrierten Plan auf, der sich auf alle betreffenden Schadstoffe erstreckt.“

Richtlinie 1999/30/EG

3 Art. 5 („Partikel“) Abs. 1 der Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. 1999, L 163, S. 41) bestimmte:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die gemäß Artikel 7 beurteilten PM10‑Konzentrationen in der Luft die Grenzwerte des Anhangs III Abschnitt I ab den dort genannten Zeitpunkten nicht überschreiten.

...“

4 In Anhang III der Richtlinie wurde hinsichtlich der PM10-Partikel klargestellt, dass der Zeitpunkt, bis zu dem die Grenzwerte zu erreichen waren, der 1. Januar 2005 war.

Richtlinie 2008/50

5 Die am 11. Juni 2008 in Kraft getretene Richtlinie 2008/50 hat fünf frühere Rechtsakte in Bezug auf die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität ersetzt, insbesondere die Richtlinien 96/62 und 1999/30, die mit Wirkung vom 11. Juni 2010 aufgehoben wurden, wie sich aus Art. 31 der Richtlinie 2008/50 ergibt.

6 Die Erwägungsgründe 17 und 18 der Richtlinie 2008/50 lauten:

„(17) Die zur Verringerung der Emissionen an der Quelle notwendigen [M]aßnahmen [der Europäischen Union], insbesondere Maßnahmen zur Verbesserung der Wirksamkeit der … Rechtsvorschriften [der Union] über Industrieemissionen, zur Begrenzung der Abgase von Schwerfahrzeugmotoren, zur zusätzlichen Senkung der zulässigen einzelstaatlichen Emissionsmengen entscheidender Schadstoffe und der Emissionsmengen, die durch das Betanken von Fahrzeugen mit Ottomotor an Tankstellen bedingt sind, sowie die Maßnahmen zur Eindämmung des Schwefelgehalts von Kraftstoffen, einschließlich Schiffskraftstoffen, sollten von allen beteiligten Institutionen mit gebührendem Vorrang geprüft werden.

(18) Für Gebiete und Ballungsräume, in denen die Schadstoffkonzentrationen in der Luft die einschlägigen Luftqualitätszielwerte oder -grenzwerte gegebenenfalls zuzüglich zeitlich befristeter Toleranzmargen überschreiten, sollten Luftqualitätspläne erstellt werden. Luftschadstoffe werden durch viele verschiedene Quellen und Tätigkeiten verursacht. Damit die Kohärenz zwischen verschiedenen Strategien gewährleistet ist, sollten solche Luftqualitätspläne soweit möglich aufeinander abgestimmt und in die Pläne und Programme gemäß der Richtlinie 2001/80/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft [(ABl. 2001, L 309, S. 1)], der Richtlinie 2001/81/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe (ABl. 2001, L 309, S. 22)] und der Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm [(ABl. 2002, L 189, S. 12)] einbezogen werden. Die in dieser Richtlinie enthaltenen Luftqualitätsziele werden auch in den Fällen uneingeschränkt berücksichtigt, in denen auf Grund der Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung [(ABl. 2008, L 24, S. 8)] Genehmigungen für industrielle Tätigkeiten erteilt werden.“

7 Art. 1 („Gegenstand“) Nrn. 1 bis 3 der Richtlinie 2008/50 lautet:

„Die in dieser Richtlinie festgelegten Maßnahmen dienen folgenden Zielen:

1. Definition und Festlegung von Luftqualitätszielen zur Vermeidung, Verhütung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt;

2. Beurteilung der Luftqualität in den Mitgliedstaaten anhand einheitlicher Methoden und Kriterien;

3. Gewinnung von Informationen über die Luftqualität als Beitrag zur Bekämpfung von Luftverschmutzungen und -belastungen und zur Überwachung der langfristigen Tendenzen und der Verbesserungen, die aufgrund einzelstaatlicher … Maßnahmen [und solcher der Union] erzielt werden“.

8 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Nrn. 5, 7 bis 9 und 16 bis 18 der Richtlinie 2008/50 sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

...

5. ‚Grenzwert‘ ist ein Wert, der aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse mit dem Ziel festgelegt...

To continue reading

Request your trial
9 practice notes
9 cases

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT