Safeway Ltd v Andrew Richard Newton and Safeway Pension Trustees Ltd.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2019:839
Docket NumberC-171/18
Celex Number62018CJ0171
CourtCourt of Justice (European Union)
Procedure TypeReference for a preliminary ruling
Date07 October 2019
62018CJ0171

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

7. Oktober 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Art. 119 EG-Vertrag (nach Änderung Art. 141 EG) – Männliche und weibliche Arbeitnehmer – Gleiches Entgelt – Privates betriebliches Rentensystem – Je nach Geschlecht unterschiedliches normales Rentenalter – Tag des Erlasses von Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung – Rückwirkende Angleichung dieses Alters an das der zuvor benachteiligten Personen“

In der Rechtssache C‑171/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England & Wales] [Zivilabteilung], Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 16. Februar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 5. März 2018, in dem Verfahren

Safeway Ltd

gegen

Andrew Richard Newton,

Safeway Pension Trustees Ltd

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, M. Ilešič, J. Malenovský, T. von Danwitz (Berichterstatter) und N. Piçarra,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzlerin: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Februar 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Safeway Ltd, vertreten durch B. Green, S. Allen, D. Pannick, QC, R. Mehta, Barrister, sowie T. Green und J. Heap, Solicitors,

von Herrn Newton, vertreten durch A. Short, QC, C. Bell und M. Uberoi, Barristers, sowie C. Rowland-Frank und J. H. C. Briggs, Solicitors,

der Safeway Pension Trustees Ltd, vertreten durch D. Murphy und E. King, Solicitors, sowie D. Grant, Barrister,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Szmytkowska und L. Flynn als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. März 2019

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 119 EG-Vertrag (nach Änderung Art. 141 EG).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Safeway Ltd auf der einen und Herrn Andrew Richard Newton und der Safeway Pension Trustees Ltd auf der anderen Seite über die Angleichung der Rentenleistungen für weibliche und männliche Mitglieder des von Safeway Pension Trustees verwalteten Rentensystems.

Rechtlicher Rahmen

3

Der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, der nun in Art. 157 AEUV verankert ist, ergab sich zum Zeitpunkt der im Ausgangsverfahren maßgebenden Ereignisse aus Art. 119 EG-Vertrag.

4

Danach galt:

„Jeder Mitgliedstaat wird während der ersten Stufe den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und in der Folge beibehalten.

Unter ‚Entgelt‘ im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und ‑gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar und unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.

Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet,

a)

dass das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit aufgrund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird,

b)

dass für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

5

Das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Rentensystem wurde 1978 von Safeway in Form eines Treuhandvertrags gegründet. Klausel 19 des Gründungsakts dieses Rentensystems (im Folgenden: Änderungsklausel) sieht im Wesentlichen vor, dass das Rentensystem, einschließlich des Wertes der Leistungen, durch Treuhandurkunde ab dem Tag einer schriftlichen Mitteilung an die Mitglieder rückwirkend geändert werden kann. Sie lautet wie folgt:

„Das Hauptunternehmen kann jederzeit und in gewissen Abständen mit Zustimmung der Treuhänder (‚trustees‘) durch vom Hauptunternehmen und den Treuhändern ausgefertigten Vertragszusatz (‚supplemental deed‘) die Treuhandvollmachten sowie die Bestimmungen des Rentensystems einschließlich dieses Treuhandvertrags (‚Trust Deed‘) und der Regeln (‚Rules‘) und aller förmlichen und sonstigen schriftlichen Urkunden, die dem vorliegenden Treuhandvertrag und dessen im Second Schedule aufgeführten förmlichen Urkunden beigefügt sind, ändern oder ergänzen und kann diese Befugnis in der Weise ausüben, dass sie ab einem im Vertragszusatz festgelegten Datum Wirkung entfaltet, welches das Datum des Vertragszusatzes oder das Datum einer vorherigen schriftlichen Ankündigung der Änderung oder der Ergänzung an Mitglieder sein kann oder ein Datum, welches zu einem angemessenen Zeitpunkt vor oder nach dem Datum des Vertragszusatzes liegt, um der Änderung oder Ergänzung rückwirkende oder künftige Wirkung zu verleihen.“

6

Das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Rentensystem hatte anfangs ein für Frauen und Männer unterschiedliches normales Rentenalter (im Folgenden: NRA) festgelegt, nämlich 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen. Nachdem der Gerichtshof in seinem Urteil vom 17. Mai 1990, Barber (C‑262/88, EU:C:1990:209), jedoch entschieden hatte, dass ein geschlechtsspezifisches NRA eine von Art. 119 des EG-Vertrags verbotene Ungleichbehandlung darstellt, setzten Safeway und Safeway Pension Trustees durch Mitteilungen vom 1. September 1991 und vom 1. Dezember 1991 (im Folgenden: Mitteilungen von 1991) die Mitglieder des Rentensystems schriftlich davon in Kenntnis, dass dieses mit Wirkung ab dem 1. Dezember 1991 dahin abgeändert werden würde, dass fortan ein einheitliches NRA von 65 Jahren für sämtliche Mitglieder gelten werde. Am 2. Mai 1996 wurde eine Treuhandurkunde zur Änderung des Rentensystems ausgefertigt, mit der mit Wirkung vom 1. Dezember 1991 ein einheitliches NRA von 65 Jahren eingeführt wurde.

7

Im Jahr 2009 stellte sich die Frage nach der Vereinbarkeit der rückwirkenden Änderung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rentensystems mit dem Unionsrecht, und Safeway leitete das Ausgangsverfahren ein, um feststellen zu lassen, dass ab dem 1. Dezember 1991 ein einheitliches NRA von 65 Jahren wirksam eingeführt worden war. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde Herr Newton als Vertreter der Mitglieder bestellt.

8

Mit Urteil vom 29. Februar 2016 stellte der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Hoher Gerichtshof [England & Wales], Abteilung Chancery, Vereinigtes Königreich) fest, die rückwirkende Änderung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rentensystems verstoße gegen Art. 119 EG-Vertrag; die Rentenansprüche der Mitglieder seien daher für den Zeitraum vom 1. Dezember 1991 bis zum 2. Mai 1996 auf der Grundlage eines einheitlichen NRA von 60 Jahren zu berechnen.

9

Nach Auffassung des mit einem Rechtsmittel von Safeway gegen dieses Urteil befassten vorlegenden Gerichts haben die Mitteilungen von 1991 für sich genommen nach nationalem Recht das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Rentensystem nicht wirksam ändern können; dies sei erst mit der Treuhandurkunde vom 2. Mai 1996 geschehen.

10

Gemäß den nationalen Rechtsvorschriften seien die von den Mitgliedern erworbenen Anwartschaften aufgrund der Änderungsklausel und der Mitteilungen von 1991 für den Zeitraum vom 1. Dezember 1991 bis zum 2. Mai 1996„entziehbar“ („defeasible“), so dass diese Rechte später jederzeit rückwirkend hätten gemindert werden können. Nach nationalem Recht habe die Treuhandurkunde vom 2. Mai 1996 für diesen Zeitraum das NRA für Frauen auf 65 Jahre erhöht und für Männer das NRA von 65 Jahren beibehalten; jedoch stelle sich die Frage, ob dies mit Art. 119 des EG-Vertrags in der Auslegung durch den Gerichtshof vereinbar sei.

11

Unter diesen Umständen hat der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England & Wales] [Zivilabteilung], Vereinigtes Königreich) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verlangt Art. 157 AEUV (vormals und zum maßgeblichen Zeitpunkt Art. 119 EG-Vertrag) in einem Fall, in dem die Regeln eines Rentensystems nach nationalem Recht durch Änderung seines Treuhandvertrags die Befugnis einräumen, den Wert der erworbenen Rentenanwartschaften für Frauen und Männer rückwirkend für den Zeitraum zwischen dem Tag einer schriftlichen Ankündigung beabsichtigter Änderungen am Rentensystem und dem Tag, an dem der Treuhandvertrag tatsächlich geändert wird, zu mindern, die erworbenen Rentenanwartschaften von Frauen und Männern für diesen Zeitraum in dem Sinne als unentziehbar anzusehen, als ihre Rentenanwartschaften vor rückwirkender Absenkung durch die Ausübung der Befugnis nach nationalem Recht geschützt sind?

Zur Vorlagefrage

12

Vorab ist festzustellen, dass laut der Vorlageentscheidung das Ausgangsverfahren ausschließlich Rentenansprüche betrifft, die von den Mitgliedern des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rentensystems im Zeitraum vom 1. Dezember 1991 bis zum 2. Mai 1996 erworben wurden. Unter diesen Umständen ist die gestellte Frage im Hinblick auf den in diesem Zeitraum geltenden Art. 119 EG-Vertrag zu prüfen.

13

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 119 EG-Vertrag dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Rentensystem eine mit dieser Vorschrift unvereinbare, sich aus der Festlegung je nach Geschlecht unterschiedlicher NRA ergebende Diskriminierung durch...

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