SC NV Construct SRL v Judeţul Timiş.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:47
Date26 January 2023
Docket NumberC-403/21
Celex Number62021CJ0403
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

26. Januar 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 267 AEUV – Begriff des einzelstaatlichen Gerichts – Kriterien – Unabhängigkeit und obligatorische Gerichtsbarkeit der betreffenden nationalen Einrichtung – Beständigkeit des Amtes der Mitglieder dieser Einrichtung – Richtlinie 2014/24/EU – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge – Art. 58 – Eignungskriterien – Möglichkeit, in diese Kriterien Verpflichtungen aufzunehmen, die sich aus Spezialvorschriften für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem betreffenden Auftrag ergeben und die in den Auftragsunterlagen nicht als Eignungskriterien vorgesehen sind – Art. 63 Abs. 1 – Bieter, der die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nimmt, um die Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers zu erfüllen – Unmöglichkeit, die Inanspruchnahme von Unterauftragnehmern zu verlangen“

In der Rechtssache C‑403/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiliul Naţional de Soluţionare a Contestaţiilor (Nationaler Rat für Beschwerdeentscheidungen, Rumänien) mit Entscheidung vom 22. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Juni 2021, in dem Verfahren

SC NV Construct SRL

gegen

Judeţul Timiş,

Beteiligte:

SC Proiect – Construct Regiunea Transilvania SRL,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Ondrůšek, E. A. Stamate und G. Wils als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 58 und 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65, berichtigt in ABl. 2022, L 192, S. 39) sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Übernahme der Verantwortung und der Transparenz.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SC NV Construct SRL und dem Judeţul Timiş (Kreis Timiș, Rumänien) über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zur Bewertung der Machbarkeit des Baus einer Straße.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 89/665/EWG

3 Art. 2 („Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren“) Abs. 9 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. 2007, L 335, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665) sieht vor:

„Eine Nachprüfungsstelle, die kein Gericht ist, muss ihre Entscheidung stets schriftlich begründen. Ferner ist in diesem Falle sicherzustellen, dass eine behauptete rechtswidrige Maßnahme der Nachprüfungsstelle oder ein behaupteter Verstoß bei der Ausübung der ihr übertragenen Befugnisse zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer anderen von dem öffentlichen Auftraggeber und der Nachprüfungsstelle unabhängigen Stelle, die ein Gericht im Sinne des Artikels [267 AEUV] ist, gemacht werden können.

Für die Ernennung und das Ende der Amtszeit der Mitglieder dieser unabhängigen Stelle gelten bezüglich der für ihre Ernennung zuständigen Behörde, der Dauer ihrer Amtszeit und ihrer Absetzbarkeit die gleichen Bedingungen wie für Richter. Zumindest der Vorsitzende der unabhängigen Stelle muss die juristischen und beruflichen Qualifikationen eines Richters besitzen. Die unabhängige Stelle trifft ihre Entscheidungen in einem Verfahren, in dem beide Seiten gehört werden; ihre Entscheidungen sind in der von den einzelnen Mitgliedstaaten jeweils zu bestimmenden Weise rechtsverbindlich.“

Richtlinie 2014/24

4 Art. 18 („Grundsätze der Auftragsvergabe“) Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 bestimmt:

„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.

Das Vergabeverfahren darf nicht mit der Absicht konzipiert werden, es vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen oder den Wettbewerb künstlich einzuschränken. Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs gilt als gegeben, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.“

5 Art. 42 dieser Richtlinie bezieht sich auf die „Technischen Spezifikationen“.

6 In Art. 58 („Eignungskriterien“) der Richtlinie 2014/24 heißt es:

„(1) Die Eignungskriterien können Folgendes betreffen:

a) Befähigung zur Berufsausübung;

b) wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit;

c) technische und berufliche Leistungsfähigkeit.

Die öffentlichen Auftraggeber können Wirtschaftsteilnehmern nur die in den Absätzen 2, 3 und 4 genannten Anforderungen an die Teilnahme auferlegen. Sie beschränken die Anforderungen auf jene, die zweckmäßig sind, um sicherzustellen, dass ein Bewerber oder Bieter über die rechtlichen und finanziellen Kapazitäten sowie die technischen und beruflichen Fähigkeiten zur Ausführung des zu vergebenden Auftrags verfügt. Alle Anforderungen müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und mit diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen.

(2) Im Hinblick auf die Befähigung zur Berufsausübung können die öffentlichen Auftraggeber den Wirtschaftsteilnehmern vorschreiben, in einem Berufs- oder Handelsregister ihres Niederlassungsmitgliedstaats gemäß Anhang XI verzeichnet zu sein oder jedwede andere in dem Anhang genannte Anforderungen zu erfüllen.

Müssen Wirtschaftsteilnehmer eine bestimmte Berechtigung besitzen oder Mitglieder einer bestimmten Organisation sein, um die betreffende Dienstleistung in ihrem Herkunftsstaat erbringen zu können, so kann der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge den Nachweis ihrer Berechtigung oder Mitgliedschaft verlangen.

(4) Im Hinblick auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit können die öffentlichen Auftraggeber Anforderungen stellen, die sicherstellen, dass die Wirtschaftsteilnehmer über die erforderlichen personellen und technischen Ressourcen sowie Erfahrungen verfügen, um den Auftrag in angemessener Qualität ausführen zu können.

Die öffentlichen Auftraggeber können von den Wirtschaftsteilnehmern insbesondere verlangen, ausreichende Erfahrung durch geeignete Referenzen aus früher ausgeführten Aufträgen nachzuweisen. …

(5) Die öffentlichen Auftraggeber geben die zu erfüllenden Eignungskriterien, die in Form von Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit ausgedrückt werden können, zusammen mit den geeigneten Nachweisen in der Auftragsbekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung an.“

7 Art. 63 („Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen“) Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„In Bezug auf die Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit gemäß Artikel 58 Absatz 3 und die Kriterien für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit gemäß Artikel 58 Absatz 4 kann ein Wirtschaftsteilnehmer gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag die Kapazitäten anderer Unternehmen – ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen – in Anspruch nehmen. In Bezug auf die Kriterien für Ausbildungsnachweise und Bescheinigungen über die berufliche Befähigung gemäß Anhang XII Teil II Buchstabe f oder für die einschlägige berufliche Erfahrung können die Wirtschaftsteilnehmer jedoch nur die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch nehmen, wenn diese die Arbeiten ausführen beziehungsweise die Dienstleistungen erbringen, für die diese Kapazitäten benötigt werden. Beabsichtigt ein Wirtschaftsteilnehmer, die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch zu nehmen, so weist er dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nach, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen werden, indem er beispielsweise die diesbezüglichen verpflichtenden Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.

Der öffentliche Auftraggeber überprüft gemäß den Artikeln 59, 60 und 61, ob die Unternehmen, deren Kapazitäten der Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch nehmen möchte, die entsprechenden Eignungskriterien erfüllen und ob Ausschlussgründe gemäß Artikel 57 vorliegen. Der öffentliche Auftraggeber schreibt vor, dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, das ein einschlägiges Eignungskriterium nicht erfüllt oder bei dem zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt. Der öffentliche Auftraggeber kann vorschreiben, oder ihm kann durch den Mitgliedstaat vorgeschrieben werden, vorzuschreiben, dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, bei dem nicht-zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt.

Nimmt ein Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick auf Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch, so kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben, dass der Wirtschaftsteilnehmer und diese Unternehmen gemeinsam für die Auftragsausführung haften.

Unter denselben Voraussetzungen können Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern nach Artikel 19 Absatz 2 die Kapazitäten von Mitgliedern der Gruppe oder von anderen Unternehmen in Anspruch nehmen.“

8 Art. 67 („Zuschlagskriterien“) Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 bestimmt:

„Zuschlagskriterien stehen mit dem Auftragsgegenstand des öffentlichen Auftrags in Verbindung, wenn sie sich in irgendeiner Hinsicht...

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