Viesgo Infraestructuras Energéticas SL v Administración General del Estado and Others.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:847
Date14 October 2021
Docket NumberC-683/19
Celex Number62019CJ0683
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

14. Oktober 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt – Richtlinie 2009/72/EG – Art. 3 Abs. 2 und 6 – Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen – Finanzierung eines Sozialtarifs zum Schutz schutzbedürftiger Verbraucher – Erfordernisse der Transparenz und der Nichtdiskriminierung“

In der Rechtssache C‑683/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) mit Entscheidung vom 9. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 16. September 2019, in dem Verfahren

Viesgo Infraestructuras Energéticas SL, vormals E.ON España SLU,

gegen

Administración General del Estado,

Iberdrola SA,

Naturgy Energy Group SA, vormals Gas Natural SDG SA,

EDP España SAU, vormals Hidroeléctrica del Cantábrico SA,

CIDE Asociación de Distribuidores de Energía Eléctrica,

Endesa SA,

Agri-Energía SA,

Navarro Generación SA,

Electra del Cardener SA,

Serviliano García SA,

Energías de Benasque SL,

Candín Energía SL,

Cooperativa Eléctrica Benéfica Catralense,

Cooperativa Valenciana,

Eléctrica Vaquer SA,

Hijos de José Bassols SA,

Electra Aduriz SA,

El Gas SA,

Estabanell y Pahisa SA,

Electra Caldense SA,

Cooperativa Popular de Fluid Electric Camprodón SCCL,

Fuciños Rivas SL,

Electra del Maestrazgo SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan, des Präsidenten der Vierten Kammer C. Lycourgos (Berichterstatter) und des Richters M. Ilešič,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Viesgo Infraestructuras Energéticas SL, vormals E.ON España SLU, vertreten durch N. Encinar Arroyo und G. Rubio Hernández-Sampelayo, abogados, sowie durch M. J. Gutiérrez Aceves, procuradora,

– der Iberdrola SA, vertreten durch J. Giménez Cervantes, M. García García und C. A. F. Lowhagen, abogados,

– der Naturgy Energy Group SA, vertreten durch F. González Díaz und B. Martos Stevenson, abogados,

– der EDP España SAU, vertreten durch J. Expósito Blanco und J. Fernández García, abogados,

– der Endesa SA, vertreten durch A. J. Sánchez Rodríguez und J. J. Lavilla Rubira, abogados,

– der Agri-Energía SA, der Navarro Generación SA, der Electra del Cardener SA, der Serviliano García SA, der Energías de Benasque SL, der Cooperativa Eléctrica Benéfica Catralense, der Cooperativa Valenciana, der Eléctrica Vaquer SA, der Hijos de José Bassols SA, der Electra Aduriz SA, der El Gas SA, der Estabanell y Pahisa SA, der Electra Caldense SA, der Cooperativa Popular de Fluid Electric Camprodón SCCL, der Fuciños Rivas SL und der Electra del Maestrazgo SA, vertreten durch I. Bartol Mir, abogada,

– der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. Ruiz Sánchez und S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch O. Beynet und M. Jáuregui Gómez als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. April 2021

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. 2009, L 211, S. 55).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Viesgo Infraestructuras Energéticas SL (im Folgenden: Viesgo), vormals E.ON España SLU (im Folgenden: E.ON), auf der einen und der Administración General del Estado (Allgemeine Staatliche Verwaltung, Spanien, im Folgenden: Staatliche Verwaltung) sowie spanischen Gesellschaften, die im Elektrizitätssektor tätig sind, auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit der Regelung zur Finanzierung einer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung in Bezug auf einen ermäßigten Strompreis zugunsten bestimmter schutzbedürftiger Verbraucher.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 In den Erwägungsgründen 7, 45, 50 und 53 der Richtlinie 2009/72 hieß es:

„(7) In der Mitteilung der Kommission vom 10. Januar 2007 mit dem Titel ‚Eine Energiepolitik für Europa‘ wurde dargelegt, wie wichtig es ist, den Elektrizitätsbinnenmarkt zu vollenden und für alle in der [Union] niedergelassenen Elektrizitätsunternehmen gleiche Bedingungen zu schaffen. Die Mitteilungen der Kommission vom 10. Januar 2007 mit den Titeln ‚Aussichten für den Erdgas- und den Elektrizitätsbinnenmarkt‘ und ‚Untersuchung der europäischen Gas- und Elektrizitätssektoren gemäß Artikel 17 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (Abschlussbericht)‘ haben deutlich gemacht, dass der durch die derzeitigen Vorschriften und Maßnahmen vorgegebene Rahmen nicht ausreicht, um das Ziel eines gut funktionierenden Binnenmarktes zu verwirklichen.

(45) … Die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz benachteiligter Kunden auf dem Elektrizitätsbinnenmarkt treffen. Die Maßnahmen können nach den jeweiligen Gegebenheiten in den entsprechenden Mitgliedstaaten unterschiedlich sein und spezifische Maßnahmen für die Begleichung von Stromrechnungen oder allgemeinere Maßnahmen innerhalb des Sozialsicherungssystems beinhalten. …

(50) Die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, auch jene zur Gewährleistung der Grundversorgung, und die daraus resultierenden gemeinsamen Mindeststandards müssen weiter gestärkt werden, damit sichergestellt werden kann, dass die Vorteile des Wettbewerbs und gerechter Preise allen Verbrauchern, vor allem schutzbedürftigen Verbrauchern, zugutekommen. Die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen sollten auf nationaler Ebene, unter Berücksichtigung der nationalen Bedingungen und unter Wahrung des [Unionsrechts], festgelegt werden; das [Unionsrecht] sollte jedoch von den Mitgliedstaaten beachtet werden. Die Unionsbürger und, soweit die Mitgliedstaaten dies für angezeigt halten, Kleinunternehmen sollten sich gerade hinsichtlich der Versorgungssicherheit und der Angemessenheit der Preise darauf verlassen können, dass die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen erfüllt werden. …

(53) Die Energiearmut ist in der [Union] ein wachsendes Problem. Mitgliedstaaten, die davon betroffen sind, sollten deshalb, falls dies noch nicht geschehen ist, nationale Aktionspläne oder einen anderen geeigneten Rahmen zur Bekämpfung der Energiearmut schaffen, die zum Ziel haben, die Zahl der darunter leidenden Menschen zu verringern. Die Mitgliedstaaten sollten in jedem Fall eine ausreichende Energieversorgung für schutzbedürftige Kunden gewährleisten. Dazu könnte auf ein umfassendes Gesamtkonzept, beispielsweise im Rahmen der Sozialpolitik, zurückgegriffen werden, und es könnten sozialpolitische Maßnahmen oder Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Wohngebäuden getroffen werden. Zumindest sollte mit dieser Richtlinie die Möglichkeit dafür geschaffen werden, dass schutzbedürftige Kunden durch politische Maßnahmen auf nationaler Ebene begünstigt werden.“

4 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2009/72 sah vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

21. ‚vertikal integriertes Unternehmen‘ ein Elektrizitätsunternehmen oder eine Gruppe von Elektrizitätsunternehmen, in der ein und dieselbe(n) Person(en) berechtigt ist (sind), direkt oder indirekt Kontrolle auszuüben, wobei das betreffende Unternehmen bzw. die betreffende Gruppe von Unternehmen mindestens eine der Funktionen Übertragung oder Verteilung und mindestens eine der Funktionen Erzeugung von oder Versorgung mit Elektrizität wahrnimmt;

…“

5 Art. 3 Abs. 2, 6 und 7 der Richtlinie bestimmte:

„(2) Die Mitgliedstaaten können unter uneingeschränkter Beachtung der einschlägigen Bestimmungen des [AEU]-Vertrags, insbesondere des Artikels [106], den Elektrizitätsunternehmen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse Verpflichtungen auferlegen, die sich auf Sicherheit, einschließlich Versorgungssicherheit, Regelmäßigkeit, Qualität und Preis der Versorgung sowie Umweltschutz, einschließlich Energieeffizienz, Energie aus erneuerbaren Quellen und Klimaschutz, beziehen können. Solche Verpflichtungen müssen klar festgelegt, transparent, nichtdiskriminierend und überprüfbar sein und den gleichberechtigten Zugang von Elektrizitätsunternehmen der [Europäischen Union] zu den nationalen Verbrauchern sicherstellen. …

(6) Wenn ein Mitgliedstaat für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Absätzen 2 und 3 einen finanziellen Ausgleich, andere Arten von Gegenleistungen oder Alleinrechte gewährt, muss dies auf nichtdiskriminierende, transparente Weise geschehen.

(7) Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht. In diesem Zusammenhang definiert jeder Mitgliedstaat das Konzept des ‚schutzbedürftigen Kunden‘, das sich auf Energiearmut sowie unter anderem auf das Verbot beziehen kann, solche Kunden in schwierigen Zeiten von der Energieversorgung auszuschließen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechte und Verpflichtungen im Zusammenhang mit schutzbedürftigen Kunden eingehalten werden. …“

Spanisches Recht

6 Unter der Überschrift „Schutzbedürftige Verbraucher“ sah Art. 45 der Ley 24/2013 del Sector Eléctrico (Gesetz 24/2013 über den Elektrizitätssektor) vom 26. Dezember 2013 in der auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz 24/2013) vor:

„1. Als schutzbedürftige Verbraucher gelten Stromverbraucher, die die festzulegenden Merkmale im Hinblick auf die soziale Situation, den Verbrauch und die Kaufkraft erfüllen. In jedem Fall ist die Maßnahme auf natürliche Personen an ihrem ständigen Wohnsitz beschränkt.

Die Definition der schutzbedürftigen Verbraucher und der von ihnen zu erfüllenden Voraussetzungen sowie die für diese Gruppe zu ergreifenden Maßnahmen werden von der Regierung durch Verordnung...

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