ABLV Bank AS v European Central Bank.
Jurisdiction | European Union |
ECLI | ECLI:EU:C:2021:369 |
Date | 06 May 2021 |
Docket Number | C-551/19 |
Celex Number | 62019CJ0551 |
Court | Court of Justice (European Union) |
Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
6. Mai 2021(*)
„Rechtsmittel – Wirtschafts- und Währungsunion – Bankenunion – Verordnung (EU) Nr. 806/2014 – Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds – Art. 18 – Abwicklungsverfahren – Voraussetzungen – Ausfall oder wahrscheinlicher Ausfall eines Unternehmens – Feststellung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls durch die Europäische Zentralbank (EZB) – Vorbereitende Handlung – Nicht anfechtbare Handlung – Unzulässigkeit“
In den verbundenen Rechtssachen C‑551/19 P und C‑552/19 P
betreffend zwei Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 17. Juli 2019,
ABLV Bank AS mit Sitz in Riga (Lettland) (C‑551/19 P)
und
Ernests Bernis, wohnhaft in Jurmala (Lettland),
Oļegs Fiļs, wohnhaft in Jurmala,
OF Holding SIA mit Sitz in Riga (Lettland),
Cassandra Holding Company SIA mit Sitz in Jurmala (C‑552/19 P),
Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte O. Behrends und M. Kirchner, dann Rechtsanwalt O. Behrends,
Rechtsmittelführer,
andere Parteien des Verfahrens:
Europäische Zentralbank (EZB), zunächst vertreten durch E. Koupepidou und G. Marafioti als Bevollmächtigte im Beistand von J. Rodríguez Cárcamo, abogado, dann durch E. Koupepidou, G. Marafioti und R. Ugena als Bevollmächtigte,
Beklagte im ersten Rechtszug,
unterstützt durch:
Europäische Kommission, zunächst vertreten durch D. Triantafyllou, A. Nijenhuis, K.‑P. Wojcik und A. Steiblytė, dann durch D. Triantafyllou, A. Nijenhuis und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,
Streithelferin in den Rechtsmittelverfahren,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer, der Richter N. Wahl (Berichterstatter) und F. Biltgen sowie der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2020,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Januar 2021
folgendes
Urteil
1 Mit ihren Rechtsmitteln begehren die ABLV Bank AS einerseits sowie Herr Ernests Bernis, Herr Oļegs Fiļs, die OF Holding SIA und die Cassandra Holding Company SIA andererseits die Aufhebung der Beschlüsse des Gerichts der Europäischen Union vom 6. Mai 2019, ABLV Bank/EZB (T‑281/18, EU:T:2019:296) (Rechtssache C‑551/19 P) bzw. Bernis u. a./EZB (T‑283/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:295) (Rechtssache C‑552/19 P) (im Folgenden: angefochtene Beschlüsse), mit denen ihre Klagen auf Nichtigerklärung der Handlungen der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 23. Februar 2018, mit denen bei der ABLV Bank und ihrer Tochtergesellschaft, der ABLV Bank Luxembourg SA, ein Ausfall oder wahrscheinlicher Ausfall im Sinne von Art. 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. 2014, L 225, S. 1) festgestellt wurde (im Folgenden: streitige Handlungen), als unzulässig abgewiesen wurden.
Rechtlicher Rahmen
2 In den Erwägungsgründen 8, 11, 24 und 26 der Verordnung Nr. 806/2014 heißt es:
„(8) Effizientere Abwicklungsmechanismen sind ein unentbehrliches Instrument zur Verhütung von Schäden, die durch Ausfälle von Banken in der Vergangenheit verursacht wurden.
…
(11) Für teilnehmende Mitgliedstaaten wird im Zusammenhang mit dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus eine zentrale Abwicklungsbefugnis auf den gemäß dieser Verordnung eingerichteten Ausschuss für die einheitliche Abwicklung [SRB] und auf die nationalen Abwicklungsbehörden übertragen. …
…
(24) Da nur Organe der Union die Abwicklungspolitik der Union festlegen dürfen und da bei der Festlegung jedes spezifischen Abwicklungskonzepts ein Ermessensspielraum verbleibt, ist es notwendig, für die angemessene Einbeziehung des Rates [der Europäischen Union] und der [Europäischen] Kommission als Organe zu sorgen, die gemäß Artikel 291 AEUV Durchführungsbefugnisse ausüben dürfen. Die Bewertung der Aspekte von durch den [SRB] gefassten Abwicklungsbeschlüssen, bei denen ein Ermessensspielraum besteht, sollte durch die Kommission erfolgen. Wegen der beträchtlichen Auswirkungen der Abwicklungsbeschlüsse auf die finanzielle Stabilität der Mitgliedstaaten und der Union als solche sowie auf die Haushaltshoheit der Mitgliedstaaten, ist es wichtig, dass dem Rat Durchführungsbefugnisse zum Erlass bestimmter Beschlüsse im Zusammenhang mit der Abwicklung übertragen werden. Deshalb sollte es dem Rat obliegen, auf Vorschlag der Kommission eine wirksame Kontrolle über die durch den [SRB] vorgenommene Bewertung der Frage auszuüben, ob ein öffentliches Interesse besteht, und etwaige erhebliche Änderungen an dem Betrag aus dem [einheitlichen Abwicklungsfonds] zu bewerten, der im Rahmen einer konkreten Abwicklungsmaßnahme in Anspruch genommen werden soll. …
…
(26) Die EZB in ihrer Rolle als Aufsichtsbehörde innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus [SSM] und der [SRB] sollten in der Lage sein zu bewerten, ob ein Kreditinstitut ausfällt oder wahrscheinlich ausfällt und ob nach vernünftigem Ermessen keine Aussicht besteht, dass der Ausfall des Instituts innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens durch alternative Maßnahmen des privaten Sektors oder der Aufsichtsbehörden abgewendet werden kann. Wenn der [SRB] der Auffassung ist, dass alle Kriterien im Zusammenhang mit der Einleitung von Abwicklungen erfüllt sind, sollte er das Abwicklungskonzept festlegen. Das Verfahren im Zusammenhang mit der Festlegung des Abwicklungskonzepts, an dem die Kommission und der Rat beteiligt sind, stärkt die notwendige operative Unabhängigkeit des [SRB], ohne den Grundsatz der Übertragung von Befugnissen auf Einrichtungen entsprechend der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union … anzutasten. Deshalb ist in dieser Verordnung vorgesehen, dass das vom [SRB] angenommene Abwicklungskonzept nur in Kraft tritt, wenn innerhalb einer Frist von 24 Stunden nach Annahme des Konzepts durch den [SRB] weder der Rat noch die Kommission Einwände erhoben haben oder wenn das Abwicklungskonzept durch die Kommission gebilligt wurde. Die Gründe, die es dem Rat gestatten, auf Vorschlag der Kommission Einwände gegen das Abwicklungskonzept des [SRB] zu erheben, sollten strikt auf das Vorliegen eines öffentlichen Interesses und auf erhebliche Änderungen des Betrags der Inanspruchnahme des Fonds, wie er vom [SRB] vorgeschlagen wurde, durch die Kommission beschränkt sein.
…“
3 Art. 7 („Aufteilung der Aufgaben innerhalb des einheitlichen Abwicklungsmechanismus“) der Verordnung Nr. 806/2014 bestimmt:
„(1) Der [SRB] ist dafür verantwortlich, dass der einheitliche Abwicklungsmechanismus wirkungsvoll und einheitlich funktioniert.
(2) Der [SRB] ist vorbehaltlich des Artikels 31 Absatz 1 zuständig für die Erstellung der Abwicklungspläne und alle Beschlüsse im Zusammenhang mit einer Abwicklung:
a) der Unternehmen im Sinne des Artikels 2, die nicht Teil einer Gruppe sind, und von Gruppen,
i) die im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 [des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63)] als bedeutend gelten oder
ii) in Bezug auf welche die EZB gemäß Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b der Verordnung … Nr. 1024/2013 beschlossen hat, sämtliche einschlägigen Befugnisse unmittelbar auszuüben, und
b) anderer grenzüberschreitender Gruppen.
(3) In Bezug auf andere Unternehmen oder Gruppen als die in Absatz 2 genannten sind die nationalen Abwicklungsbehörden, unbeschadet der Zuständigkeiten des [SRB] für die ihm durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben, zur Wahrnehmung der folgenden Aufgaben verpflichtet und für sie verantwortlich:
…
(4) Wenn dies für die kohärente Anwendung hoher Abwicklungsstandards nach dieser Verordnung notwendig ist, kann der [SRB]
…
b) jederzeit von sich aus nach Anhörung der betroffenen nationalen Abwicklungsbehörde oder auf deren Ersuchen – insbesondere wenn seine unter Buchstabe a genannte Warnung nicht gebührend beachtet wird – entscheiden, alle dieser nationalen Abwicklungsbehörde durch diese Verordnung übertragenen einschlägigen Befugnisse auch in Bezug auf ein Unternehmen oder eine Gruppe nach Absatz 3 unmittelbar auszuüben.
(5) Unbeschadet des Absatzes 3 dieses Artikels können die teilnehmenden Mitgliedstaaten entscheiden, dass der [SRB] alle ihm durch diese Verordnung übertragenen einschlägigen Befugnisse und Zuständigkeiten in Bezug auf Unternehmen und andere Gruppen als die in Absatz 2 genannten, die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassen sind, auszuüben hat. …“
4 Art. 18 („Abwicklungsverfahren“) der Verordnung Nr. 806/2014 bestimmt:
„(1) Der [SRB] legt nur dann ein Abwicklungskonzept gemäß Absatz 5 in Bezug auf Unternehmen und Gruppen nach Artikel 7 Absatz 2 und auf Unternehmen und Gruppen nach Artikel 7 Absatz 4 Buchstabe b und Absatz 5, sofern die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Absätze erfüllt sind, fest, wenn er in seiner Präsidiumssitzung bei Erhalt einer Mitteilung gemäß Unterabsatz 4 oder von sich aus zu der Einschätzung gelangt, dass folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
a) Das Unternehmen fällt aus oder fällt wahrscheinlich aus.
b) Bei Berücksichtigung zeitlicher Zwänge und anderer relevanter Umstände besteht nach vernünftigem Ermessen keine Aussicht, dass der Ausfall des Unternehmens innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens durch alternative...
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