Federal Republic of Germany v European Chemicals Agency.
Jurisdiction | European Union |
Date | 21 January 2021 |
Court | Court of Justice (European Union) |
Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
21. Januar 2021(*)
„Rechtsmittel – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) – Art. 5 und 6 – Allgemeine Pflicht zur Registrierung chemischer Stoffe – Art. 41 und 42 – Bewertung der Registrierungsdossiers und Prüfung der von den Registranten übermittelten Informationen auf Erfüllung der Anforderungen – Feststellung der Nichterfüllung der Anforderungen – Anfechtbare Handlung – Rechtsschutzinteresse – Klagebefugnis – Jeweilige Befugnisse der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) und der nationalen Behörden – Verpflichtung der ECHA, von den Registranten auf ihre Aufforderung hin nachgereichte Informationen auf Erfüllung der Anforderungen zu überprüfen – Befugnis der ECHA, insoweit eine geeignete Entscheidung zu erlassen – Art. 1 – Ziel des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt – Art. 13 und 25 – Durchführung von Tierversuchen – Förderung alternativer Methoden“
In der Rechtssache C‑471/18 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 18. Juli 2018,
Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch T. Henze und D. Klebs, dann durch D. Klebs und J. Möller als Bevollmächtigte,
Rechtsmittelführerin,
andere Parteien des Verfahrens:
Esso Raffinage mit Sitz in Courbevoie (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: zunächst H. Estreicher, Rechtsanwalt, und N. Navin-Jones, Solicitor, dann H. Estreicher, Rechtsanwalt, A. Kołtunowska, adwokat, K. Merten-Lentz, avocate, und N. Navin-Jones, Solicitor, schließlich H. Estreicher, Rechtsanwalt, A. Kołtunowska, adwokat, und K. Merten-Lentz, avocate,
Klägerin im ersten Rechtszug,
Europäische Chemikalienagentur (ECHA), vertreten durch W. Broere, C. Jacquet und M. Heikkilä als Bevollmächtigte,
Beklagte im ersten Rechtszug,
Französische Republik, vertreten zunächst durch D. Colas, J. Traband und A.‑L. Desjonquères, dann durch E. Leclerc, J. Traband, W. Zemamta und A.‑L. Desjonquères als Bevollmächtigte,
Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman und M. L. Noort als Bevollmächtigte,
Streithelfer im ersten Rechtszug,
European Coalition to End Animal Experiments mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigter: T. David, Solicitor,
Higher Olefins and Poly Alpha Olefins REACH Consortium mit Sitz in Brüssel (Belgien),
Higher Olefins & Poly Alpha Olefins vzw mit Sitz in Brüssel, Prozessbevollmächtigte: zunächst E. Vermulst, advocaat, dann P. Kugel, advocaat,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer, der Richter N. Wahl und F. Biltgen sowie der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. September 2020
folgendes
Urteil
1 Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Bundesrepublik Deutschland die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 8. Mai 2018, Esso Raffinage/ECHA (T‑283/15, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:263), mit dem das Schreiben der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) vom 1. April 2015 an das Ministère de l’Écologie, du Développement durable, des Transports et du Logement (Ministerium für Ökologie, nachhaltige Entwicklung, Verkehr und Wohnungswesen, Frankreich) mit dem Titel „Feststellung eines Verstoßes im Anschluss an eine Dossierbewertungsentscheidung nach der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006“ (im Folgenden: streitiges Schreiben) für nichtig erklärt wurde.
Rechtlicher Rahmen
2 Die Erwägungsgründe 15, 18 bis 20, 44, 47, 66, 121 und 122 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. 2006, L 396, S. 1, Berichtigung im ABl. 2007, L 136, S. 3) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 (ABl. 2008, L 353, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: REACH-Verordnung) lauten:
„(15) Es muss eine wirksame Handhabung der technischen, wissenschaftlichen und administrativen Aspekte dieser Verordnung auf [der Ebene der Europäischen Union] sichergestellt werden. Eine zentrale Stelle sollte daher eingerichtet werden, um diese Aufgabe zu übernehmen. Eine Durchführbarkeitsstudie über den Ressourcenbedarf dieser zentralen Stelle hat ergeben, dass eine unabhängige zentrale Stelle gegenüber anderen Optionen einige langfristige Vorteile bietet. Daher sollte eine Europäische Agentur für chemische Stoffe (nachstehend ‚[ECHA]‘ genannt) errichtet werden.
…
(18) Die Verantwortung für das Risikomanagement im Zusammenhang mit Stoffen sollte bei den natürlichen oder juristischen Personen liegen, die diese Stoffe herstellen, einführen, in Verkehr bringen oder verwenden. …
(19) Daher sollten die Registrierungsbestimmungen für Hersteller und Importeure die Verpflichtung vorsehen, Daten über die von ihnen hergestellten oder eingeführten Stoffe zu gewinnen, diese Daten zur Beurteilung der stoffspezifischen Risiken zu nutzen und geeignete Risikomanagementmaßnahmen zu entwickeln und zu empfehlen. Damit diese Verpflichtungen auch eingehalten werden sowie aus Gründen der Transparenz sollten sie im Rahmen der Registrierung bei der [ECHA] ein Dossier mit all diesen Informationen einreichen müssen. …
(20) Die Bewertungsbestimmungen sollten Nacharbeiten im Anschluss an die Registrierung vorsehen, wobei die Übereinstimmung des Registrierungsdossiers mit den Anforderungen dieser Verordnung geprüft werden kann und erforderlichenfalls noch weitere Informationen über Stoffeigenschaften gewonnen werden können. Gelangt die [ECHA] in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten zu der Auffassung, dass Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Stoff ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt birgt, so sollte die [ECHA] nach Aufnahme des Stoffes in den fortlaufenden Aktionsplan der [Union] für die Stoffbewertung dafür Sorge tragen, dass dieser Stoff bewertet wird, wobei sie sich auf die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten stützt.
…
(44) Zur Schaffung eines harmonisierten, einfachen Systems sollten alle Registrierungen bei der [ECHA] eingereicht werden. Im Interesse eines einheitlichen Vorgehens und eines effizienten Mitteleinsatzes sollte die [ECHA] die Vollständigkeit sämtlicher Registrierungsdossiers prüfen und die Verantwortung für eine endgültige Ablehnung einer Registrierung tragen.
…
(47) Es ist notwendig, Tierversuche gemäß der Richtlinie 86/609/EWG [des Rates vom 24. November 1986 zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (ABl. 1986, L 358, S. 1)] zu ersetzen, zu reduzieren oder erträglicher zu gestalten. Wo immer möglich, sollte die Durchführung der vorliegenden Verordnung auf der Anwendung alternativer Prüfmethoden beruhen, die für die Beurteilung der Gefahren chemischer Stoffe für die Gesundheit und die Umwelt geeignet sind. Die Verwendung von Tieren sollte durch den Einsatz alternativer Methoden vermieden werden, die von der Kommission oder internationalen Stellen validiert oder von der Kommission oder der [ECHA] als geeignet, den Informationsanforderungen dieser Verordnung gerecht zu werden, anerkannt wurden. …
…
(66) Die [ECHA] sollte außerdem ermächtigt werden, auf der Grundlage von durchgeführten Bewertungen von Herstellern, Importeuren oder nachgeschalteten Anwendern weitere Informationen über Stoffe anzufordern, die im Verdacht stehen, die menschliche Gesundheit oder die Umwelt zu gefährden … Anhand der Kriterien, die die [ECHA] für die Erstellung einer Rangfolge der Stoffe in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten entwickelt hat, sollte ein fortlaufender Aktionsplan der [Union] für die Stoffbewertung aufgestellt werden, der sich darauf stützt, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die in dem Plan aufgeführten Stoffe bewerten. …
…
(121) Um die Beachtung dieser Verordnung sicherzustellen, sollten die Mitgliedstaaten wirksame Maßnahmen zur Beobachtung und Kontrolle treffen. Die erforderlichen Inspektionen sollten geplant und durchgeführt werden, und über die Ergebnisse sollte Bericht erstattet werden.
(122) Um bei der Durchführung dieser Verordnung durch die Mitgliedstaaten Transparenz, Unparteilichkeit und Einheitlichkeit zu gewährleisten, ist es erforderlich, dass die Mitgliedstaaten ein geeignetes Sanktionssystem schaffen, in dessen Rahmen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße verhängt werden können, da Verstöße einen Schaden für die menschliche Gesundheit und die Umwelt nach sich ziehen können.“
3 Art. 1 („Ziel und Geltungsbereich“) der REACH-Verordnung bestimmt in Abs. 1:
„Zweck dieser Verordnung ist es, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherzustellen, einschließlich der Förderung alternativer Beurteilungsmethoden für von Stoffen ausgehende Gefahren, sowie den freien Verkehr von Stoffen im Binnenmarkt zu gewährleisten und gleichzeitig Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu verbessern.“
4 Titel II („Registrierung von Stoffen“) der REACH-Verordnung enthält u. a. die Artikel 5, 6, 13, 20 und 22.
5 Art. 5 („Ohne Daten kein Markt“) der REACH-Verordnung bestimmt:
„Vorbehaltlich der Artikel 6, 7, 21 und 23 dürfen Stoffe als solche, in Gemischen oder in Erzeugnissen nur dann in der [Union]...
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