European Commission v Romania.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2020:563
Date16 July 2020
Docket NumberC-549/18
Celex Number62018CJ0549
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

16. Juli 2020(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 258 AEUV – Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung – Richtlinie (EU) 2015/849 – Unterbliebene Umsetzung und/oder Mitteilung der Umsetzungsmaßnahmen – Art. 260 Abs. 3 AEUV – Antrag auf Verurteilung zur Zahlung eines Pauschalbetrags“

In der Rechtssache C‑549/18

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 und Art. 260 Abs. 3 AEUV, eingereicht am 27. August 2018,

Europäische Kommission, vertreten durch T. Scharf, L. Flynn, G. von Rintelen, L. Nicolae und L. Radu Bouyon als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Rumänien, zunächst vertreten durch C.‑R. Canţăr, E. Gane, L. Liţu und R. I. Haţieganu, dann durch die drei Letztgenannten als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Königreich Belgien, vertreten durch C. Pochet, P. Cottin und J.‑C. Halleux als Bevollmächtigte,

Republik Estland, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,

Französische Republik, vertreten durch A.‑L. Desjonquères, B. Fodda und J.‑L. Carré als Bevollmächtigte,

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi und des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter M. Ilešič, J. Malenovský, L. Bay Larsen, T. von Danwitz, F. Biltgen (Berichterstatter), A. Kumin, N. Jääskinen und N. Wahl,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2019,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. März 2020

folgendes

Urteil

1 Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission,

– festzustellen, dass Rumänien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 67 der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission (ABl. 2015, L 141, S. 73) verstoßen hat, dass es die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um der Richtlinie 2015/849 nachzukommen, bis zum 26. Juni 2017 nicht erlassen oder der Kommission jedenfalls nicht mitgeteilt hat;

– gegen Rumänien wegen des Verstoßes gegen die Verpflichtung, die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie mitzuteilen, gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV ein Zwangsgeld von 21 974,40 Euro für jeden Tag des Verzugs ab Verkündung des vorliegenden Urteils zu verhängen;

– gegen Rumänien gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV einen Pauschalbetrag auf der Grundlage eines Tagessatzes von 6 016,80 Euro, multipliziert mit der Anzahl der Tage ab dem Tag, der auf den Ablauf der in dieser Richtlinie festgelegten Umsetzungsfrist folgte, bis zur Beendigung der Vertragsverletzung durch Rumänien oder, wenn die Vertragsverletzung fortbesteht, bis zur Verkündung des vorliegenden Urteils, vorbehaltlich des Überschreitens des Mindestpauschalbetrags von 1 887 000 Euro, zu verhängen;

– Rumänien die Kosten aufzuerlegen.

Rechtlicher Rahmen

2 Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2015/849 bestimmt:

„(1) Ziel dieser Richtlinie ist die Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems der Union zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung.

(2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung untersagt werden.“

3 Art. 67 dieser Richtlinie lautet:

„(1) Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 26. Juni 2017 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.

Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf die vorliegende Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme.

(2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten nationalen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.“

Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

4 Da die Kommission von Rumänien bis zum Ablauf der in Art. 67 der Richtlinie 2015/849 vorgesehenen Frist (26. Juni 2017) keinerlei Informationen über den Erlass und die Veröffentlichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, erhalten hatte, richtete sie am 19. Juli 2017 ein Aufforderungsschreiben an diesen Mitgliedstaat.

5 Aus der Antwort Rumäniens vom 19. September 2017 ging hervor, dass die Maßnahmen zur Umsetzung der betreffenden Richtlinie zu diesem Zeitpunkt erst vorbereitet wurden. Die Kommission richtete daher am 8. Dezember 2017 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an diesen Mitgliedstaat. Darin forderte sie ihn auf, innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt dieser Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Anforderungen der Richtlinie 2015/849 zu genügen.

6 Nachdem seine Anträge auf Verlängerung der Frist zur Beantwortung der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 8. Dezember 2017 abgelehnt worden waren, antwortete Rumänien auf diese Stellungnahme mit Schreiben vom 8. Februar 2018. Darin teilte Rumänien der Kommission mit, dass der Gesetzentwurf mit den Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 2015/849 im Mai 2018 vom Parlament verabschiedet werde.

7 Da die Kommission zu dem Ergebnis kam, dass Rumänien weder die nationalen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie erlassen noch diese Maßnahmen mitgeteilt habe, hat sie die vorliegende Klage erhoben und beantragt, die gerügte Vertragsverletzung festzustellen und gegen diesen Mitgliedstaat nicht nur einen Pauschalbetrag, sondern auch ein Zwangsgeld in Form eines Tagessatzes zu verhängen.

8 Mit Schreiben vom 28. August 2019 hat die Kommission dem Gerichtshof mitgeteilt, dass sie ihre Klage teilweise zurücknehme, nämlich insofern, als sie nicht mehr die Verhängung eines Zwangsgelds in Form eines Tagessatzes beantrage, da dieser Antrag nach der vollständigen Umsetzung der Richtlinie 2015/849 in rumänisches Recht mit Wirkung vom 21. Juli 2019 gegenstandslos geworden sei. Gleichzeitig hat sie darauf hingewiesen, dass sich der Pauschalbetrag, dessen Verhängung sie im vorliegenden Fall beantrage, auf 4 536 667,20 Euro belaufe und den Zeitraum vom 27. Juni 2017 bis zum 20. Juli 2019, also 754 Tage zu einem Satz von 6 016,80 Euro pro Tag, umfasse.

9 Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofs vom 5., 31. und 27. Dezember 2018 sind das Königreich Belgien, die Republik Estland, die Französische Republik und die Republik Polen als Streithelfer zur Unterstützung Rumäniens zugelassen worden.

Zur Klage

Zur Vertragsverletzung im Sinne von Art. 258 AEUV

Vorbringen der Parteien

10 Die Kommission trägt vor, Rumänien habe dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 67 der Richtlinie 2015/849 verstoßen, dass es nicht bis zum 26. Juni 2017 alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen habe, die erforderlich seien, um dieser Richtlinie nachzukommen, oder ihr diese Vorschriften jedenfalls nicht mitgeteilt habe.

11 Sie weist u. a. darauf hin, dass die Bestimmungen einer Richtlinie in unzweifelhaft verbindlicher und so konkreter, bestimmter und klarer Weise umgesetzt werden müssten, dass dem Erfordernis der Rechtssicherheit genügt werde, und dass sich die Mitgliedstaaten nicht auf interne Umstände oder praktische Schwierigkeiten berufen könnten, um zu rechtfertigen, dass eine Richtlinie nicht innerhalb der vom Unionsgesetzgeber gesetzten Frist umgesetzt worden sei. Es sei daher Sache jedes Mitgliedstaats, die nach seiner internen Rechtsordnung zum Erlass der erforderlichen Rechtsvorschriften nötigen Schritte zu unternehmen, um zu gewährleisten, dass die Umsetzung der betreffenden Richtlinie fristgerecht erfolgen könne.

12 Im vorliegenden Fall weist die Kommission zu den nationalen Maßnahmen, die nach der Einreichung der Klageschrift im Oktober 2018 mitgeteilt worden seien und die nach Ansicht Rumäniens als teilweise Umsetzung der Richtlinie 2015/849 anzusehen seien, darauf hin, dass Rumänien keine Entsprechungstabelle vorgelegt habe, die die Relevanz der mitgeteilten Maßnahmen zeige und den Zusammenhang zwischen den Richtlinienbestimmungen und diesen Maßnahmen erläutere. Die Mitgliedstaaten seien aber zur Übermittlung eines solchen erläuternden Dokuments verpflichtet.

13 Sodann müsse entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs in jedem Fall eine positive Maßnahme zur Umsetzung der betreffenden Richtlinie erlassen werden, wenn eine Richtlinie, wie die Richtlinie 2015/849 in ihrem Art. 67, ausdrücklich vorsieht, dass in den Vorschriften zur ihrer Umsetzung selbst oder durch einen Hinweis bei ihrer amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug genommen wird (Urteil vom 11. Juni 2015, Kommission/Polen, C‑29/14, EU:C:2015:379, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall nehme jedoch keine der 40 von Rumänien im Oktober 2018 mitgeteilten Maßnahmen auf die Richtlinie 2015/849 Bezug. Zudem seien 37 dieser Maßnahmen schon vor dem Erlass dieser Richtlinie getroffen worden.

14 Schließlich könne entgegen dem Vorbringen Rumäniens nicht angenommen werden, dass die Umsetzung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (ABl. 2005, L 309, S. 15) und der Richtlinie 2006/70/EG...

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